Diskussion: Gibt es einen gerechten Krieg?
Irak, Afghanistan, Libyen und jetzt Syrien. Die derzeit schwelenden Konfliktherde der Welt lassen die uralte Staatsrechts- und Theologiefrage weiterhin aktuell erscheinen, ob es einen gerechten Krieg geben kann. Dabei fällt es immer schwerer, abzugrenzen, was ein Krieg oder eben doch nur eine humanitäre Polizeiaktion ist. Und natürlich muss auch die Gegenfrage beantwortet werden: Gibt es so etwas wie einen gerechten Frieden? Eine Diskussion im Religionspolitischen Atelier der Berliner Humboldt-Universität.
25.01.2012
Von Thomas Klatt

Der katholische Theologe und Friedensforscher Heinz-Günther Stobbe aus Siegen weiß, dass jede bewaffnete Gewaltanwendung an sich schon die Gefahr der Ungerechtigkeit in sich birgt. Während die individuelle Notwehr eine in der Regel übersichtliche und ethisch klar zu beurteilende Situation darstellt, ist das bei größeren Konflikten anders. "Der Begriff des gerechten Krieges gleicht einem hölzernen Eisen, weil jeder Krieg per se ein großes Unrecht darstellt", stellt Stobbe die Position eines radikalen Pazifismus dar. Dieses Oxymoron, dieses Paradox ließ immer schon jede Diskussion über gerechte Gewalt im Grunde überflüssig erscheinen, da man davon ausgehen kann, dass in keinem Krieg die Tötung unschuldiger Menschen vermeidbar ist.

Doch diese radikale Position der Weigerung, Waffen in die Hand zu nehmen, ließ sich kirchengeschichtlich höchstens im Kloster und für kirchliche Amtsträger durchhalten. Mit der konstantinischen Wende übernahm das Christentum staatliche Verantwortung. Nun brauchte es eine Standesethik für christliche Soldaten. Die Grundgedanken der Antike aufnehmend formulierte der Kirchenvater Augustin Bedingungen, unter denen ein Krieg geführt werden durfte. Etwa aus Gründen der Selbstverteidigung oder eben als ultima ratio zum Ziele der Wiederherstellung des Friedens, nicht aber zur Vernichtung des Feindes. Privatfehden, Eroberungs- oder Bürgerkriege galten als nicht gottgewollt. Nie aber wurde auch in der Scholastik der folgenden Jahrhunderte so argumentiert, als könne ein Krieg leichtfertig geführt werden. "Ein gerechter Krieg ist und bleibt ein sittliches Übel. Und allein schon deswegen muss alles getan werden, um das Übel zu minimieren. Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, wenn man meint, einen Krieg im Sinne des Augustinus würde das irgendwie nett machen", weiß Stobbe.

Verübt die syrische Regierung Völkermord? 

Allerdings sind heute nicht mehr Theologen, Päpste, Kaiser oder Landesherren höchste Instanz zur Legitimierung zwischenstaatlicher Gewalt, sondern der moderne Völkerbund. Seit 2005 gilt die UN-Richtlinie "responsiblity to protect". Demnach besteht ein Interventionsgrund, wenn Völkermord, ethnische Säuberungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattfinden. Aber stellt der Militäreinsatz eines Regimes gegen seine Bevölkerung ein solch großes Unrecht dar, dass die Völkergemeinschaft eingreifen darf?

"Eine der wichtigsten Kriterien in der klassischen Lehre ist die der causa iusta. Es muss einen gerechten Grund geben. Aber der ist nicht leicht zu bestimmen. Nicht weil man Schwierigkeiten hat, das Unrecht zu benennen, sondern weil man gewichten muss, ob ein vorhandenes Unrecht so groß ist, dass es ein militärisches Eingreifen rechtfertigt. Die oppositionelle Bewegung in Syrien verlangt das Eingreifen mit dem Argument, die Regierung verübe Völkermord. Aber ob es im Sinne des internationalen Völkerrechts wirklich um einen Völkermord geht, das scheint mir strittig zu sein", gibt der Siegener Friedensforscher zu bedenken.

Dabei gibt es heute kaum noch klassische Kriege mit ordentlicher Kriegserklärung und endlicher Kapitulation. In den neuen Kriegen herrscht oftmals eine Asymmetrie zwischen einer Militärmacht und einer widerständigen Partisanenbewegung. Es gibt keine Fronten und Schlachten mehr, sondern nur noch Scharmützel, Hinterhalte und einen meist unsichtbaren Feind. Immer seltener ist auch klar, wer den Krieg nun genau führt. Denn Soldaten, die Helden, die Heroen, seien heute nicht mehr die Söhne aus der Mitte jeder Familie, sondern ausgesonderte Spezialisten einer Berufs- oder Söldnerarmee mit einer in der Heimat immer schwerer zu kontrollierenden Kriegsführung oder gar Ethik, warnt der Berliner Sozialwissenschaftler Herfried Münkler. Moderne Konflikte würden immer mehr privatisiert. Staaten fühlten sich für ihre Söldnerheere aber immer weniger verantwortlich.

Auch die Forderung nach gerechtem Frieden hilft nicht weiter

"Es gilt die Globalisierung der Arbeitsmärkte: PMC, also privat military company. Blackwater ist ja nur die Speerspitze. Im Prinzip waren die Amerikaner im Irak nicht mehr aktionsfähig, ohne die vielen tausenden Philippinos, die die gesamte Logistik übernommen haben", weiß Münkler. Diese privaten Söldner sind aber im höheren Maße angreifbar. Verluste tauchen somit nicht mehr in der Statistik der amerikanischen Streitkräfte auf. Das erspart der Politik lästige innenpolitische Debatten über Sinn und Zweck ihrer Außenpolitik. Kriegsversehrte Söldner müssen anders als die eigenen Veteranen nicht über Jahrzehnte kostspielig medizinisch und sozial betreut werden.

"Und auf den Todeslisten waren sehr viel spanischsprachige Namen. Die amerikanische Armee hat jetzt green card soldiers gehabt, 20-25 Prozent schätzt man, die dann erst nach fünf Jahren Militärdienst amerikanische Staatsbürger werden", verrät Münkler. Was also ein gerechter Krieg ist und wie er durchzuführen ist, scheint im konkreten Fall auch weiterhin schwer erklärbar. Aber auch die in den letzten Jahren von den Kirchen erhobenen Forderungen, sich lieber für einem gerechten Frieden einzusetzen, helfen in der völkerrechtlichen Diskussion letztlich nicht weiter.

"Sowohl in der evangelischen wie in der katholischen Kirche wird die Aufmerksamkeit auf die Prävention gelenkt. Aber wir wissen noch gar nicht, wie wirkmächtig präventive Politik wirklich ist", gibt der Theologe Heinz-Günther Stobbe zu bedenken. So sei die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 zwar ein schöner Impuls, der aber nicht die Frage beantwortet, was denn zu tun sei, wenn jegliche Friedensprävention nichts nütze und es zu aktuellen Massakern und massiven Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern komme. Man sehe doch auch in der christlichen und jüdischen Tradition, dass das Insistieren auf Gerechtigkeit auch den Grund für eine Revolution und letztlich einen gerechten Krieg darstellen könne, erinnert Stobbe. Es sei eben doch zu einfach, wenn die Bischöfe meinten, ihre Hände in pazifistischer Unschuld waschen zu können.


Thomas Klatt ist evangelischer Theologe und freier Journalist in Berlin.