Die schöne Urlaubs-Fassade zeigt hässliche Risse
Zum Abschluss der diesjährigen Urlaubsmesse CMT konnte der Geschäftsführer der Stuttgarter Messegesellschaft, Roland Bleinroth, einen Rekord vermelden: Rund 225.000 Besucher sind in diesem Jahr vom 14. bis 22. Januar in die Messehallen geströmt, um sich von den fast 2.000 Ausstellern aus 96 Ländern in Sachen Urlaub Anregungen zu holen. Stände und Prospekte zeigten die Sonnenseite des Lebens - auf der Messe waren aber auch kritische Töne zu vernehmen.
24.01.2012
Von Rainer Lang

Nach Ansicht des Tourismusexperten Heinz Fuchs vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) wird diese Frage immer drängender. Schließlich ist der Tourismus international ein überdurchschnittlich wachsendes Feld und für viele Entwicklungsländer eine wichtige Devisenquelle, wie der Fachmann bei der Urlaubsmesse CMT betonte. Die schöne Fassade der Urlaubsdestinationen zeige freilich einige hässliche Risse.

Im Blick auf die Reiselaune der Deutschen, die auch 2011 weltmeisterlich war, regten sich auf der Messe nicht wenige warnende Stimmen. So tat sich die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), der Organisation Tourismus und nachhaltige Entwicklung, der Diözese Rottenburg-Stuttgart, dem forum anders reisen und der Evangelischen Akademie Bad Boll zusammen und lud zur Podiumsveranstaltung unter dem Titel "Menschenrechte verwirklichen! Eine Sache des Tourismus?" ein.

Weltweit macht der Tourismus laut Fuchs inzwischen fünf Prozent der wirtschaftlichen Aktivitäten aus. Mit rund 250 Millionen Beschäftigten ist er dazu einer der wichtigsten Arbeitgeber. Wuchsen die internationalen Ankünfte zuletzt um sieben Prozent auf 940 Millionen, werden sie 2012 wohl die Milliardengrenze überschreiten.

Hoffnung auf Arbeitsplätze und Devisen

Beispiel Ägypten: Das Land setzt auch in Zukunft auf den Tourismus. In diesem Sektor sind momentan 3,3 Millionen Menschen beschäftigt, in zehn Jahren sollen es schon 4,5 Millionen sein. Die Hoffnungen richten sich auf mehr Arbeitsplätze und neue Geschäftszweige.

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Dabei werden nach Ansicht von Heinz Fuchs die Schattenseiten des Tourismus oft unter den Teppich gekehrt. Die Branche stelle sich gern als unpolitisch und sauber dar und zeige ausschließlich die sonnigen Seiten der Länder, bestätigten die Experten auf dem Podium. Das Spektrum verschwiegener Wahrheiten beginne beim Devisenabfluss, Umweltschäden und ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen und gehe bis zu Fremdbestimmung, dem Ausverkauf der Kulturen sowie Prostitution und Kinderhandel.

"Der Tourismus spielt gern die Rolle des Retters", betonte Fuchs. Dabei würden die Armutsbekämpfung, die Begegnung der Kulturen, Aufstiegschancen für Frauen oder die Menschenrechte ins Feld geführt. Die Frage nach der Täterrolle werde dabei jedoch nur selten diskutiert.

So werden Buschleute in Botswana laut Fuchs aus ihren angestammten Gebieten vertrieben, die in den Tierreservaten liegen. Dies sei nur ein Beispiel für massive Verletzungen der Menschenrechte in allen Urlaubsländern. Zudem trägt der Tourismus schätzungsweise zwischen fünf und 14 Prozent zum Klimawandel bei - hauptsächlich über den Flugverkehr.

Verantwortung der Konsumenten angemahnt

Einig war sich Heinz Fuchs mit den übrigen Experten, dass es im Tourismus im Blick auf Menschenrechte, Umwelt und Transparenz einen Nachholbedarf gebe. Es gebe zwar inzwischen eine Vielzahl freiwilliger Initiativen, es fehlten jedoch verbindliche Regelungen. Fuchs forderte die Reisenden auf, aktiv nachzufragen. So könnten sie von der Konsumentenseite Druck auf Veranstalter ausüben. Dies sei auch durch die persönliche Wahl von Urlaubsart oder Unterkunft möglich. Als positiv bewerteten die Experten, dass es inzwischen entsprechende UN-Leitlinien gibt, die auch von der EU aufgenommen worden sind.

In Sachen Umwelt ist der Tourismusverband des Landes Baden-Württemberg (TMBW) aktiv geworden. Unter der neuen grün-roten Regierung ist nicht mehr das Wirtschafts-, sondern das Landwirtschaftsministerium für den TMBW zuständig. Das freut die Tourismusverantwortlichen im Land. Sie haben im Zuge des Amtsantritts des ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands im Stuttgarter Staatsministerium das Projekt "Grüner Süden" vorgelegt. Ein Katalog fasst Angebote aus den Bereichen Naturerlebnis, umweltfreundliche Mobilität, klimaverträgliche Unterkünfte und regionale Produkte zusammen. Auf dem früheren Truppenübungsplatz kann man sich heute über Biosphären informieren.

Auch Bioenergiedörfer in Hohenlohe kann man besuchen oder eine Naturgenuss-Pauschale in Bad Herrenalb buchen. Und mit dem "Nachhaltigkeits-Check" der besucherstärksten Tourismusziele nimmt das Land nach den Worten von Alexander Bonde ebenfalls bundesweit eine Vorreiterrolle ein.

Der grüne Landwirtschaftsminister strebt nach eigenem Bekunden den Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft an. Die Landesregierung wolle einen sanften Tourismus - Ideen, die der damalige Fraktionschef der Grünen in Baden-Württemberg, Fritz Kuhn, propagierte. Er sah schon in den 90er Jahren für eine nachhaltig wirtschaftenden Tourismusbranche großes Potenzial.


Rainer Lang ist Sprecher der Diakonie Katastrophenhilfe in Stuttgart.