Namibias Grundeinkommen steht auf der Kippe
52 Prozent der Namibier sind arbeitslos, die Hälfte der Bevölkerung lebt in absoluter Armut. Ein Grundeinkommen soll für Linderung sorgen. Doch schon das Pilotprojekt steht auf der Kippe, der Plan zur Ausweitung auf alle Bedürftigen noch mehr.
24.01.2012
Von Marlene Grund

100 namibische Dollar monatlich an bedingungslosem Grundeinkommen veränderten das Leben der früheren Farmarbeiterin Frieda Nembwaya. Die Frau mit den roten Strähnen im schwarzen Haar war wie die meisten Einwohner der 1.200-Seelen-Gemeinde Otjivero auf einem Stück Land zwischen den Stacheldrahtzäunen der Farmen gestrandet. Sie bewohnte eine Wellblechhütte, die nächste Stadt in weiter Entfernung, ohne ausreichend Nahrung und Arbeit.

Nun besitzt sie eine Bäckerei. Mit den monatlichen acht Euro aus einem von der rheinischen evangelischen Landeskirche unterstützten Grundeinkommensprojekt (Basic Income Grant, BIG) schaffte sie es, das kleine Geschäft zu eröffnen. "Seither verdiene ich Geld, habe ein größeres Haus, kann das Schulgeld für die Kinder zahlen und sogar sparen", sagt sie stolz.

Selbstbewusste Menschen, Hoffnung, Zukunftsperspektiven

Vor vier Jahren wurde das namibische Dorf Otjivero, rund 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Windhuk, zum Hoffnungsträger im Kampf gegen die Armut. Der Ratsvorsitzende der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und rheinische Präses Nikolaus Schneider war auch bei seinem zweiten Besuch vom positiven Ergebnis des Pilotprojekts überzeugt. Er sei erstaunt und tief bewegt, welch enorme Verbesserungen das bedingungslose Grundeinkommen bewirkt habe. Nur wenige Euro im Monat für jeden Einwohner reichten aus, den täglichen Kampf ums nackte Überleben zu beenden und einen kleinen florierenden Wirtschaftskreislauf in Gang zu setzen.

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Die Delegation der rheinischen Kirche traf auf selbstbewusste Menschen, voller Hoffnung und Zukunftsperspektiven. Immer noch stehen Wellblechhütten unter den ausladenden Schirmakazien des Dorfes, doch nun hat die Regierung auch für Wasserleitungen, Toiletten und ein Postamt gesorgt. Die Unterernährung verschwand, es war Geld für Impfungen und Schulbesuche da, und erstmals hat ein Kind aus Otjivero Abitur gemacht. "BIG hat euch nicht reich gemacht, aber euch Würde gegeben", sagte Schneider den Dorfbewohnern.

Doch dicht neben Stolz und Dankbarkeit liegt in Otjivero auch die Angst vor der Zukunft. Denn noch hängt der Fortschritt im Dorf von den monatlichen Infusionen durch das Grundeinkommen ab. Und das Projekt steht auf der Kippe, das Geld geht zur Neige, wie der evangelisch-lutherische namibische Bischof Zephania Kameeta erläutert: "Wir wissen nicht, wie es weitergeht."

Schneider: Drohendes Scheitern "fast eine Katastrophe"

Dem Feldversuch, der seit 2008 von den evangelisch-lutherischen Kirchen, Gewerkschaften und nichtstaatlichen Organisationen in Namibia getragen wird, fehlt die Unterstützung der Regierung. Eine staatliche Kommission legte ihr zwar schon vor Jahren die Einführung des Grundeinkommens zur Überwindung der scharfen sozialen Gegensätze im Land nahe. "Doch die Regierung hält sich zurück", sagte Kameeta.

Sie sorgte zwar für die Infrastruktur des Dorfes mit Wasserleitungen, Elektrizität und der Ausgabe von kostenlosen Aids-Medikamenten, doch trat sie auch Zweifel an der Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens los. Die Hoffnung der Projektträger, dass BIG einen Schneeball-Effekt habe und auf ganz Namibia ausgeweitet werde, scheint in weite Ferne gerückt. Für Präses Schneider ist das drohende Scheitern "fast eine Katastrophe". Das Modell sei eine Chance, "die Grundbedürfnisse eines jeden Mitglieds der Gesellschaft abzusichern", sagte Schneider. Dies sei die Pflicht eines jeden Staates.

Vorwürfe, ein Pilotprojekt zum Grundeinkommen sei ein kolonialer Import, wies er als Thesen "ideologischer Eiferer" zurück. Die rheinischen und westfälischen evangelischen Kirchen sowie die Vereinigte Evangelische Mission hatten den Aufbau des auf zwei Jahre angelegten Pilotprojekts in Namibia maßgeblich unterstützt. Wegen der Erfolge bei Armuts- und Kriminalitätsbekämpfung in Otjivero wurde BIG auch nach Auslaufen der ersten Phase in reduziertem Umfang weitergeführt. Eine weitere finanzielle Unterstützung durch die rheinische Kirche zum Überleben des Projektes wollte Präses Schneider weder zusichern noch ausschließen.

Die Dorfbewohner hoffen es sehr. "BIG sollte weitergehen, nicht nur für uns, sondern für alle, die noch mehr leiden", sagte eine Frau beschwörend.

epd