"Mit einem solchen Ausgang der Wahlen hat keiner gerechnet", sagt Youssef Sidhom und zieht hilflos die Schultern hoch. Der Herausgeber der Zeitung "Al Watany - Meine Heimat" gilt als einer der klugen Köpfe der koptischen Gemeinschaft in Ägypten: "Wir wussten zwar alle, dass die Partei der Muslimbrüder bei den Wahlen stärkste Kraft werden würde. Dass aber die radikalen Salafisten auf über zwanzig Prozent kommen würden, das war eine Überraschung", sagt er.
Eine böse Überraschung aus Sicht der Christen Ägyptens, denn die Salafisten stehen für eine besonders texttreue und intolerante Richtung des Islam. Im Wahlkampf hetzten sie gegen Andersgläubige und Touristen. Sie forderten ein Alkoholverbot und zum Teil sogar die Einführung des islamischen Strafrechts, der Scharia, in Ägypten. Dass die Salafisten nicht nur große Reden schwingen, sondern eine tatsächliche Bedrohung darstellen, zeigen zahlreiche Anschläge auf Kirchen und Angriffe auf Kopten vor allem in Oberägypten in den vergangenen Monaten. Unter den rund 80 Millionen Ägyptern leben etwa zehn Prozent Christen.
Christen werden stets nach dem selben Muster diffamiert
Die Gewalt eskaliert fast immer nach dem gleichen Muster: Zunächst tauchen Gerüchte auf. Ein Christ habe ein muslimisches Mädchen verführt oder eine Christin, die aus freiem Willen zum Islam konvertiert sei, werde von ihren Angehörigen daran gehindert, ihre neue Religion zu praktizieren. Bei den Armen und Ungebildeten stoßen solche Gerüchte allzu leicht auf offene Ohren und schon gehen die Menschen aufeinander los. Fast immer sind die Toten und Verletzten Christen und fast nie werden die Täter verfolgt und bestraft.
"Darin unterscheidet sich die neue Regierung leider gar nicht von der alten", sagt Sidhom. Das massive Auftreten der radikalen Salafisten sei besorgniserregend und auch die Gewalttaten gegen Christen. "Noch beunruhigender ist jedoch, dass die Regierung den radikalen Muslimen das Gefühl gibt, dass sie Angst vor ihnen hat und sie gewähren lässt", sagt er und sieht darin auch einen der Gründe, weshalb die Salafisten im vergangenen Jahr auch immer mehr an Einfluss gewonnen haben.
Koptische Christen verlassen das Land
"Ich sehe keine Zukunft mehr für mich hier", sagt Gregori Hana. Der 23-jährige Ingenieur hat gerade einen Visumsantrag für Kanada ausgefüllt und hofft, dass er dort bald ein neues Leben anfangen kann. Für ihn ist das ein großer Schritt, denn er hat sein Land noch nie verlassen und muss zunächst sein Schulenglisch wieder aufbessern. "Ich hatte nie vor zu gehen, nicht so wie meine Freunde, die seit vielen Jahren von der Fremde träumen. Ich liebe meine Familie und leide schon jetzt, wenn ich daran denke, dass ich gehen muss, doch angesichts der Lage, halte ich es für das beste", sagt er und zeigt Bilder seiner Mutter, Schwester und der Neffen, die er in seiner Brieftasche hat.
Für ihn war der 9. Oktober der schlimmste Tag der vergangenen zwölf Monate. Da kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Militärpolizei und zumeist christlichen Demonstranten. Mindestens 27 Menschen starben. "Als dann kurz danach die ersten Wahlergebnisse bekannt wurden und klar war, dass die Salafisten so viele Sitze gewonnen haben, da habe ich mir den Visaantrag geholt", erzählt Hana.
Sidhom: Nicht den Kopf in den Sand stecken
Mit einem Parlament, in dem die islamistischen Gruppen zusammen mehr als 70 Prozent der Sitze haben, sei absehbar, dass sich die Diskriminierung gegen die Kopten verstärke, betont der junge Mann. Schon unter der Regierung von Hosni Mubarak wurden Christen rechtlich besonders beim Kirchbau diskriminiert.
Auch Youssef Sidhom macht sich Sorgen um die Zukunft, allerdings hält er es für zu früh, den Kopf in den Sand zu stecken. "Es ist jetzt ganz wichtig, dass die nichtislamistischen Kräfte im Parlament zusammenfinden." Sie sollten nicht etwa den Islamisten Paroli bieten. "Das würde nur dazu führen, dass sich Muslimbrüder und Salafisten verbünden", ist er sich sicher. Es gehe vielmehr darum, moderate Stimmen aus der Muslimbruderschaft zu stärken, mit ihnen zusammenzuarbeiten und die Bruderschaft so in die politische Mitte zu ziehen.
"Wir befinden uns in einer schwierigen Umbruchphase, aber es gibt immer noch Hoffnung, dass Ägypten den Übergang in eine demokratischere Zukunft schafft", sagt der Journalist. Dann werde es auch für die Christen ein besseres Land.