Scharia, "die äußere Gestalt des islamischen Glaubens"
Gläubige Muslime leben nach Koran und Scharia. Was aber ist die Scharia? Hat sie auch in Deutschland Gültigkeit? Wie unterscheidet sie sich von der deutschen Verfassung? Sind Scharia-Streitschlichter eigentlich gut oder schlecht? Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstslle für Weltanschauungsfragen (EZW) antwortet.
20.01.2012
Von Maike Freund

In Deutschland gibt es in muslimischen Gemeinden immer mehr Streitschlichter, die nach der Scharia Recht auslegen. Was aber ist die Scharia? Spielt sie in Deutschland überhaupt eine Rolle? Und muss man die Funktion des Streitschlichters kritisch betrachten?

Zu den Aufgaben eines Schlichters gehört es, Streitigkeiten beilegen. Ein Beispiel: Eine Frau wurde von ihrem Mann geschlagen und denkt nun über eine Anzeige nach. Hier kommt der Streitschlichter ins Spiel und versucht zu vermitteln. Ein anderes Beispiel: Ein Kunde beschwert sich über die verdorbene Ware bei einem Händler. Auch hier kommt der Schlichter zum Einsatz. Nach muslimischem Recht stehen neben der Schlichtung auch die Instrumente der finanziellen Wiedergutmachung und Selbstjustiz zur Verfügung. Das kann aber zur Folge haben, dass die deutsche Rechtsordnung ausgehebelt wird - oder dass das Opfer nicht zu seinem Recht kommt. Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) sieht Streitschlichter in Deutschland kritisch und erläutert, sie die Scharia auch die Integration von muslimischen Migranten beeinflusst.

Scharia zeigt, wie Islam praktisch gelebt werden soll

Scharia, "das ist die äußere Gestalt des islamischen Glaubens", sagt Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstselle für Weltanschauungsfragen (EZW), "das religiöse Recht. Sie zeigt, wie Islam praktisch gelebt werden soll." Die Scharia umfasst verschiedene Rechtsgebiete – darunter zum Beispiel Zivilrecht und Familienrecht. Sie macht aber auch Vorschriften zur Politik und Staatsführung und regelt, wie ein Gottesdienst zu halten ist. Bestimmte Vergehen sind eindeutig geregelt, längst aber nicht alle. Bekannte Beispiele sind die Strafe für die Abwendung vom Islam - der Tod - oder Diebstahl, der Handabhacken zur Folge hat. Die Scharia umfasst also Rechtsnormen, gleichzeitig behandelt sie aber auch moralische Fragen.

Einer der Schwerpunkte von Friedmann Eißler ist der Isam. Foto: Pressestelle EZW

Sind Streitschlichter gut oder schlecht? "Pauschal lässt sich die Frage nicht beantworten", sagt Eißler. "Erst einmal muss man unterscheiden zwischen Muftis, also Gelehrten, studierte und ausgebildete Richter, die die Scharia auslegen und Recht sprechen", sagt Eißler. Dann gibt es eben auch noch die Streitschlichter, auch Friedensrichter oder Schariarichter genannt, die keine juristische Ausbildung haben, sondern das Amt beispielsweise vom Vater geerbt haben. Ihre Aufgabe: Streitigkeiten beilegen. Darüber hinau kann es aber auch sein, dass dafür Strafverzicht gegen finanzielle Wiedergutmachung und Selbstjustiz in Frage kommt.

"Diese Schlichter haben eine lange Tradition, gehören zum sozialen Gefüge islamischer Staaten. Sie sind eng mit den Begriffen Ehre, Ansehen und Würde verknüpft - und sie sind in Deutschland umstritten", sagt Eißler und erklärt warum: "Erst einmal ist es immer sinnvoll, sich für den Frieden einzusetzen."

Wenn es aber zu Schlichtungen komme, die unter Druck geschehen würden, in denen das Opfer nicht zu seinem Recht komme, dann müsse man das natürlich kritisch betrachten. Und das treffe vor allem Frauen. "In einer patriarchalisch geprägten Hierarchie wie die des Islams, in der auch noch Dinge unter der Hand, nach eigenem Ermessen, geregelt werden, werden die Rechte der Frauen schnell untergraben", sagt er.

Die deutsche Verfassung und die Scharia

Auch in der deutschen Verfassung und der deuschen Rechtsnorm gibt es die Bestrebung nach einer außergerichtlichen Einigung, etwa bei einem Vergleich – ähnlich wie bei Streitschlichern, die sich an die Scharia halten. Und manchmal kann sich die Scharia auf deutsche Rechtsentscheidungen auswirken. "Denn in Deutschland zählt für Migranten nicht nur das Recht vor Ort, auch das Recht des Landes, aus dem sie kommen", erklärt Eißler. "Das gilt jedoch nicht nur für arabische Staaten und somit muslimisches Recht, sondern beispielsweise auch für Menschen aus Indien oder Frankreich und das spezielle Recht." Die Grenze liegt da, wo die öffentliche Ordnung und Anstand und Sitte beeinträchtigt werden.

"Es gibt Bemühungen seitens einiger Muslime, Scharia-Recht auch in Deutschland zu implementieren", sagt Eißler. Das sieht er als Problem. Denn wenn einer Minderheit im Staat ein eigenes Recht zugesprochen würde, entstehe ein Vakuum, ein rechtsfreier Raum, in dem es keine Kontrolle mehr gebe, ob individuelle Menschenrechte eingehalten würden. Ein weiteres Problem, dass schon bei der jetzigen Praxis der Streitschlichter deutlich werde: die Integrationsfrage. Bei der Integration von muslimischen Migranten in Deutschland sei die Ausübung der Streitschlichter "kontraproduktiv", erklärt Eißler, weil das weltliche, christliche Recht und damit die deutsche Tradition und Rechtsgrundlage bei einigen nicht akzeptiert werde.


Maike Freund ist Redakteurin bei evangelisch.de.