Werte und Religion in der medialen Welt
Wie die digitalen Medien nun genau Werte und Normen in die Gesellschaft hinein transportieren, dazu hatte jetzt die Evangelische Kirche in Deutschland Medienvertreter zu einer Konferenz nach Potsdam eingeladen.
19.01.2012
Von Thomas Klatt

Den deutschen Fernseh-Sonntag könnte man als den Tag der Wertevermittlung bezeichnen. Nein, die findet nicht unbedingt morgens bei den Gottesdienstübertragungen in Funk und Fernsehen statt, sondern abends in der ARD. Der Tatort greift nicht selten sozialkritische Themen wie Zwangsheirat, Sucht- und Drogenproblematik, Verwahrlosung, Kindesmissbrauch, Mobbing oder Arbeitslosigkeit auf. Im Gegensatz zum Tatort fällt die bundesweite Resonanz auf die kirchliche Vier-Minuten-Verkündigung "Wort zum Sonntag" aber eher bescheiden aus.

Das Fernseh-Programm beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird mit Sicherheit nicht allein nach medienethischen Gesichtspunkten gestaltet. RBB-Programmdirektorin Claudia Nothelle orientiert sich viel mehr an der Quote und an der Marktforschung, um herauszufinden, was bei den Zuschauern ankommt. Dennoch würden Sie und Ihre Kollegen sich durchaus auch an vielleicht unpopuläre Tabuthemen herantrauen, die anschließend diskutiert werden. Der ARD-Film "homevideo" hatte etwa cyber-mobbing zum Thema.

"Das Ineinander von Fiktion und Talk ist natürlich von uns geplant. Wir setzen das etwa vier Mal im Jahr. 'Homevideo' fand ich einen der gelungensten Fernseh-Abende der letzten Zeit", bekennt sich Nothelle zu diesem Projekt. Auch wenn der Film nur rund 2,5 Millionen Zuschauer hatte, so sei die Diskussion danach weitergegangen. Nicht wenige Lehrer würden den Film mittlerweile im Unterricht einsetzen. Auch den Film über das Frauengefängnis Hoheneck wertet sie als publizistischen und medienethischen Erfolg.Quote ist eben doch nicht alles.

Tod soll kein Tabuthema im Fernsehen sein

"Ein weiteres Beispiel ist, dass wir in der ARD eine Themenwoche zu Tod und Sterben machen. Aber das ist in den Gremien nicht nur auf Begeisterung gestoßen. Wollen Sie das unserem Publikum tatsächlich zumuten, wo wir doch gerade eine Verjüngungsstrategie machen, wurde ich gewarnt", verrät Nothelle von den Themendiskussionen hinter den Kulissen. Langweilig oder gar moralinsauer soll die Themenwoche aber nicht werden, verspricht die rbb-Programmchefin. Ein Mittwochabend-Film wird im Hospiz spielen, ein Tatort wird sich mit dem Bestattungsgewerbe auseinandersetzen, so viel sei jetzt schon verraten.

Auch die Kirche bemüht sich etwa in Workshops mit dem Verband deutscher Drehbuchautoren, auf ethische Tabuthemen hinzuweisen. Gottesdienstübertragungen oder das "Wort zum Sonntag" allein reichen zur Wertevermittlung offenbar nicht aus.

"Viele Drehbuchautoren sind zwar aus der Kirche ausgetreten, interessieren sich jetzt aber für Fragen der Spiritualität. Wir versuchen den Gedanken-Austausch zwischen Seelsorgern und Produzenten oder Autoren. Es geht um eine Art kulturelle Diakonie, Fragen der Auswahl des Lebens bei Embryonen, der Sterbebegleitung, der nachhaltigen Berichterstattung versus Eventisierung", sagt Markus Bräuer, Medienbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Nur fehlt es oftmals an Kontakt zwischen Medienmachern und dem Publikum. Die Verantwortlichen wüssten oftmals gar nicht, wie moderne Formate aussehen. Was nützt der schönste medienethische Ansatz, wenn die Menschen das endgültige Produkt gar nicht sehen wollten?

Der Kontakt zum Publikum funktioniert vor allem online

"Ich lebe als Freiberuflerin davon, für andere Leute fernzusehen und ihnen vorzutragen, was der Markt gerade im Angebot hat. Politiker haben keine Zeit Fernsehen zu gucken, aber auch Redakteure haben keine Zeit, Autoren haben keine Zeit das Konkurrenzprogramm zu beobachten", bemängelt Fernsehkritikerin Klaudia Wick. "Tatsächlich reden viele Menschen über einen Fernsehbegriff, den sie sich zu einer ganz anderen Lebenszeit angeeignet haben. Zum Beispiel wird viel über das Fernsehen der 70er und 80er Jahre gesprochen, obwohl wir jetzt schon die 00erJahre hinter uns gelassen haben."

Die junge Generation im 21. Jahrhundert schaut dagegen kaum noch fern, bestimmend ist das Internet. Wertevermittlung via Glotze fällt da immer schwerer. "Die durchschnittliche Verweildauer bei einem 90minüter ist 17 Minuten! Es gibt Aufmerksamkeitsspannen, die beständig nach unten gehen", beklagt Fernsehproduzent Jan Kromschröder: "Man möchte immer kürzere Häppchen. In der Filmszene wird derzeit 'Berlin zwischen Tag und Nacht' von RTL II heftig diskutiert. Das neue Format ist deswegen so erfolgreich, weil es auch im Internet läuft. Schon nach 14 Tagen hatten die auf Facebook 500.000 'Likes'."

Mediale Wertevermittlung, zumal eine religiös-christliche, findet also demnächst nur noch im Internet statt? Die RBB-Programmdirektorin und studierte katholische Theologin Claudia Nothelle kann sich das dann doch nicht vorstellen und setzt lieber auf das klassische Fernsehen: "Ich möchte nicht auf Facebook sehen: Christus ist auferstanden und dahinter kann ich machen: I like it or I like it not!"


Thomas Klatt ist freier Journalist.