Noch während der Beisetzung zückt ein Obdachloser auf dem Friedhof eine Flasche Bier und kippt sie über das Grab. "Der hat gerne getrunken", habe er über den Toten gesagt, berichtet Schwester Franziska von einer ihrer letzten Obdachlosen-Beisetzungen. Bei der Kölner Seelsorgerin klingelt das Telefon, wenn wieder ein Wohnsitzloser gestorben ist und sich keine Angehörigen finden lassen. Eine solche Bierdusche werde nicht als Unverschämtheit empfunden, sondern als liebevolle, persönliche Geste. "Auf der Straße nennt man Dinge direkter beim Namen", sagt sie - auch im Todesfall.
Wenn ein Mensch von der Straße ums Leben gekommen ist, zieht Schwester Franziska im Auftrag der Stadt mit dem Rucksack durch Köln und verbreitet bei Obdachlosen die Nachricht. "Bei denen wird auf der Straße kundgetan: "Bernd mit den Igelhaaren ist gestorben." Oder: "Der Jupp mit dem einen Bein ist tot"", sagt der Bestatter Thomas Kremer, der eine Kölner Initiative für die Bestattung von Obdachlosen leitet. Seinem Engagement ist zu verdanken, dass einige Gräber inzwischen auch Namen tragen. "Vorher wurden die Menschen anonym verscharrt."
Kremer: "Obdachlose müssen nicht spurlos verschwieden"
Nicht einmal 1.500 Euro stehen für einen Toten in Köln zur Verfügung, wenn keine Angehörigen zu finden sind, von denen das Sozialamt die Kosten einfordern könnte. Das Geld reicht für eine bescheidene Urnenbestattung, ein Holzkreuz und eine kleine Trauerfeier. Erst 2008 entschied sich die Stadt wegen anhaltender Kritik von Kirchen und Sozialverbänden, Friedhofsflächen für Tote ohne Angehörige freizumachen. Kleine Plaketten auf Betonstelen nennen die Namen der Toten - wenn sie bekannt sind.
Obdachlose werden dort nicht beerdigt. Für sie fand Kremer viel früher eine Alternative zu den namenlosen Gräbern. "Sie haben schon im Leben keine Spuren hinterlassen, da müssen sie nicht noch spurlos verschwinden." 1997 erwarb er die Nutzungsrechte für ein 150 Quadratmeter großes Areal auf dem Südfriedhof, wo heute etwa 260 Urnen vergraben und mit beschrifteten Grabsteinen versehen sind. Mit 15.000 Euro Spenden finanziert Kremer jedes Jahr die Pflege der Gräber, Steine und Pflanzen.
Wer "Platte macht", kann oft souveräner mit dem eigenen Ableben umgehen
Äußerlich unterscheidet sich der Flur 27 kaum von anderen Grabflächen des Südfriedhofs. Um den Toten trotz knapper Mittel Grabsteine herzurichten, scheut Kremer nicht vor Zweitverwertung zurück: "Warum soll ein Stein nur 20 Jahre für ein Grab verwendet werden? Danach wird er klein geraspelt und zu Straßenpflaster. Warum soll ich den wegwerfen?" Heute gehörten die Gräber auf Flur 27 zu den meistbesuchten. Auch der ein oder andere Friedhofs-Umtrunk bleibe im Sommer nicht aus: "An den Gräbern stehen öfter mal Bierflaschen. Das waren dann die Jugendlichen von der Straße, die sonst auf der Domplatte sitzen. Die haben auf ihre Kameraden ein Bier getrunken."
Wer "Platte macht", also im Freien lebt, hat den Tod näher vor Augen und kann oft souveräner mit dem eigenen Ableben umgehen, erklärt die 49-jährige Schwester Franziska. "Obdachlose gehen mit dem Tod anders um, weil sie öfter erleben, dass aus den eigenen Reihen jemand stirbt." Bei den Bestattungen sei es deshalb "sehr bunt, sehr laut und nicht so traditionell, wie man sich das vorstellt", sagt Kremer. Verarmt, aber keinesfalls einsam sterben die meisten Kölner Menschen von der Straße in seinen Augen. "Es wird immer jemand da sein. Die werden nicht vergessen."