Käßmann: Babyklappe ist ein Ausweg in höchster Not
Eine bisher unveröffentlichte Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums hat die Diskussion um Babyklappen neu entfacht. Das Deutsche Jugendinstitut kritisiert darin Zeitungsberichten zufolge, die eigentliche Zielgruppe werde durch die bundesweit fast 100 Babyklappen nicht wirklich erreicht. Im epd-Gespräch berichtet die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, von anderen Erfahrungen. Die frühere Landesbischöfin hatte vor elf Jahren in Hannover das "Netzwerk Mirjam" gegründet, zu dem eine Babyklappe - auch Babykörbchen genannt - gehört. Käßmann begleitet das Projekt bis heute als Patin.
16.01.2012
Die Fragen stellte Karen Miether

Die Studie kritisiert, dass Babykörbchen und die Möglichkeit zur anonymen Geburt Mütter in höchster Not gar nicht erreichen. Es heißt, die Betreiber seien selbst nicht mehr überzeugt, Leben retten zu können. Wie sind Ihre Erfahrungen im "Netzwerk Mirjam"?

Käßmann: Die Erfahrungen im Netzwerk sind andere. Das zeigen die Aussagen von Müttern, die ihre Kinder innerhalb einer Achtwochenfrist zurückgeholt haben. Für sie war das Körbchen ganz offensichtlich ein Ausweg in höchster Not. Statistik ist auf diesem Feld schwierig, mit Blick auf Kindstötungen etwa gibt es nur Schätzwerte.

An den Anbietern gibt es zum Teil heftige Kritik. So heißt es, sie wüssten bei rund einem Fünftel der abgegebenen Kinder nichts mehr über deren Verbleib. Welche Qualitätskriterien sind für Sie unabdingbar?

Käßmann: Beim Netzwerk Mirjam war von Anfang an klar, dass es eine langfristige Verantwortung für die abgegebenen Kinder gibt. Daher werden beispielsweise Treffen der Adoptiveltern zum Austausch organisiert.

"Körbchen nur Sinn macht, wenn es ein Angebot
in einem Netzwerk von
Hilfeleistungen für Schwangere im Konflikt ist"

 

Die Studie fordert weitere niedrigschwellige Hilfen für Schwangere in Not. "Mirjam" unterhält beispielsweise neben dem "Babykörbchen" Wohn- und Ausbildungsangebote und ein Notruf-Telefon für schwangere Frauen. Wie wichtig ist diese Ergänzung?

Käßmann: Seit der Gründung 2001 haben wir gesagt, dass ein solches Körbchen nur Sinn macht, wenn es ein Angebot in einem Netzwerk von Hilfeleistungen für Schwangere im Konflikt ist. Deshalb freue ich mich, dass diese Idee jetzt auf Niedersachen ausgeweitet werden soll. Wer in gut situierten Verhältnissen lebt, kann sich die vielfältigen Konflikte ungewollt Schwangerer wahrscheinlich nur schwer vorstellen. Mit dem Babykörbchen steht die Kirche in einer jahrhundertealten Tradition eines letzten Ausweges, das Kind in gesicherte Obhut zu geben. Das ist und bleibt für mich ein sinnvolles Angebot innerhalb von vielen anderen, die notwendig sind.

epd