"Nachtschicht: Reise in den Tod", 16. Januar, 20.15 Uhr im Zweiten
Der Fernsehfilm hat das Thema illegale Einwanderung entdeckt: Gerade in Krimis stehen immer öfter Menschen im Mittelpunkt, die ins vermeintliche deutsche Paradies fliehen. Für Lars Becker ist das ein alter Hut, denn er hat sich damit schon 1990, in seiner ersten Regiearbeit überhaupt, beschäftigt. "Afrika um die Ecke" hieß der Dokumentarfilm. Gut zwanzig Jahre später sind die Flüchtlinge Protagonisten des zehnten "Nachtschicht"-Films. Es ist das zehnte Werk dieser Reihe, die Maßstäbe fürs deutsche Fernsehen gesetzt hat; und an denen muss sich natürlich auch Becker selber messen lassen. Selbst ein durchschnittlicher "Nachtschicht"-Krimi ist zwar nicht minder fesselnd als ein guter "Tatort", aber "Reise in den Tod" unterscheidet sich wie auch die letzten Filme aus der Reihe deutlich von früheren Beiträgen: weil die Mitarbeiter des Hamburger Kriminaldauerdienstes bloß noch Mitwirkende sind, selbst aber nicht mehr im Zentrum der Handlung stehen.
Grauzone zwischen Legalität und Unterwelt
Natürlich ist es Teil der "Nachtschicht"-Philosophie, dass das Privatleben der Beamten konsequent außen vor bleibt. Gerade Erichsen (Armin Rohde) aber war vor allem deshalb so eine schillernde Persönlichkeit, weil er zu viel Zeit in der Grauzone zwischen Legalität und Unterwelt verbracht hat. Mittlerweile ist er bloß noch der Zyniker vom Dienst. Dabei wäre gerade die direkte Konfrontation zwischen Erichsen und dem Gegenspieler in dieser Geschichte von großem Reiz gewesen: hier der Bulle ohne Skrupel, dort der Verbrecher, der am Ende seiner Laufbahn sein Herz entdeckt. Markowitz heißt der Mann, den Götz George angenehm unberechenbar spielt: Einerseits ist er bereit, für die Flüchtlinge aus Afrika, die er selbst nach Hamburg geschleust hat, sein Leben zu riskieren; andererseits knallt er ohne zu Zögern seinen Partner (Clemens Schick) über den Haufen.
Weibliche Hauptfiguren der Geschichten sind zwei Schwestern (Dominique Siassia, Hadnet Tesfai), die vor Jahren nach Afrika abgeschoben wurden, obwohl sie in Deutschland aufgewachsen sind. Marie France ist längst wieder da und arbeitet illegal als Mädchen für alles bei einem vermeintlich ehrenwerten Ehepaar (Jeanette Hain, Filip Peeters), wird von der Dame des Hauses aber quasi als Sklavin gehalten und vom Hausherrn missbraucht und geschlagen. Bei seiner jüngsten Tour hat Markowitz auch Lola ins Land geschmuggelt, die nun nach ihrer Schwester sucht und damit die Ereignisse ins Rollen bringt: Weil Marie France ihren Arbeitgeber angezeigt hat, soll Markowitz sie verschwinden lassen.
Wie stets bei "Nachtschicht" konnte Becker auch für kleine Nebenrollen großartige Schauspieler gewinnen: Den Chef der Schlepperbande spielt Jan-Gregor Kremp, seinen Manns fürs Grobe Christian Redl. Das KDD ist ohnehin großartig besetzt, auch wenn sich die Schauspieler (neben Rohde vor allem Barbara Auer) in ein enges Rollenkorsett zwängen müssen. Immerhin bekommt Kommissarin Mimi Hu (Minh-Khai Phan-Thi) dank ihres Migrationshintergrunds etwa mehr Format als sonst. Allerdings kommt das KDD-Team einige Male ins Dozieren, wenn es Hintergrundinformationen zum Thema vermitteln soll.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).