Wulff und die Medien: "Da muss einer mal sagen: Halt!"
Die Berichterstattung über jede Kleinigkeit in der Affäre im Bundespräsident muss aufhören, fordert der Kommunikationsberater Hasso Mansfeld. Er ist der Meinung, dass die Medien nun einen Schlussstrich ziehen sollten, denn journalistische Prinzipien seien in den vergangenen Wochen außer Kraft gesetzt worden. Boulevard-Zeitungen und Nachrichtenmagazine hätten ihre eigentlichen Rollen verlassen, dennoch sieht Hasso Mansfeld auch das Verhalten von Bundespräsident Wulff durchaus kritisch.
12.01.2012
Die Fragen stellte Rosa Legatis

Herr Mansfeld, was ist ihrer Meinung nach der größte Fehler von Christian Wulff gewesen?

Hasso Mansfeld: Wulff ist Opfer seiner eigenen Hybris. Der Kardinalfehler von Wulff war, dass er sein Privatleben instrumentalisiert hat. Der Boulevard ist doch a priori für die Unterhaltung da, nicht für die Vermittlung von politischen Botschaften. Das kann er natürlich auch tun, aber wenn der Politiker sich inszeniert und als Basis nicht seine politische Position hat, sondern sich als Privatmann, seine Familie, sein Privatleben, um damit sozusagen eine Glamour-Rakete abzuzünden, dann brennt die irgendwann aus und kommt wieder runter. Und bei eventuellen Konflikten kann er sich nicht mehr auf seine Position als Privatmann zurückziehen, die ist nämlich verkauft.

Herr Wulff hat gedacht, das wäre wirklich eine valide Freundschaftsbeziehung zu den Protagonisten im Boulevard – allen voran zu Kai Diekmann. In dem Moment, wo er gesehen hat, dass da keine Freundschaft war, sondern ein gegenseitiges Händewaschen, da hat er bei Diekmann angerufen. Deshalb ist das auch kein gravierender Verstoß gegen die Pressefreiheit, sondern eine Dämlichkeit. Es wäre ein solcher gewesen, wenn er in seiner Position als Bundespräsident beim Chefredakteur angerufen hätte. Aber er hat zu Anfang gesagt "Ich bin auf dem Weg zum Emir". Diese Formulierung ist das Ergebnis einer Kumpanei. Diese fällt ihm jetzt auf die Füße.

Sie werfen Medien wie der "Süddeutschen Zeitung" und "Spiegel", aber auch "Bild", nun vor, dass sie Christian Wulff geholfen haben, in diese Rolle zu kommen und ihn jetzt fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Wieso?

Mansfeld: Nein, nicht wie eine heiße Kartoffel. Ich werfe ihnen vor, dass sie nicht im Vorfeld mal etwas kritischer gewesen sind, als Wulff sich inszenierte. Er ist doch ein Produkt einer fortwährenden Inszenierung. Und er hat bei Diekmann angerufen, in seiner Wahrnehmung, dass er eine weitere Inszenierung verhindern will. Er ist der Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nun nicht mehr los wird. Und ich sage den Medien, die Hyperkritik, die sie jetzt bieten, die hätten sie mal im Vorfeld walten lassen sollen. In dem man sagt, das geht doch nicht, das sich jemand so inszeniert. Die erste Dämmerung kam ja schon mit dem inszenierten ZDF-Sommer-Interview im vergangenen Jahr.

Ist es denn dann nicht konsequent, was Kai Diekmann jetzt gemacht hat, dass er auch diese Geschichte so inszeniert, wie er sie inszeniert hat?

Mansfeld: Der Anruf war selten dämlich von Christian Wulff. Ein Präsident ruft nicht an. Der lässt anrufen, ein Präsident hinterlässt schon gar nicht eine Nachricht auf der Mailbox. Dem geht das Präsidiale komplett ab und alles, was wir an Glamour und Staatsmann gesehen haben. Das ist alles Fake – das mache ich den Medien zum Vorwurf. Und wenn denn nun Kai Diekmann meint, dieses an ihn gerichtete Telefonat, bei dem er nachweislich die Entschuldigung entgegen genommen hat, jetzt auch noch instrumentalisieren zu müssen, dann geht er viel zu weit. Das ist ein Showdown, der hier passiert - das merken die Menschen auch instinktiv - zwischen zwei Personen als Folge einer gescheiterten Kumpanei. Und damit wird die ganze Republik terrorisiert. "Spiegel Online" versucht mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, aus einem Wettbewerbsverhältnis heraus, damit "Bild" nicht "Spiegel Online" den Rang abläuft. Damit haben wir journalistische Prinzipien schon längst über Bord geworfen.

"Die Linie ist da überschritten,

wo das Medium anfängt,

Politik zu machen"

 

Wie hätten denn die so genannten Qualitätsmedien mit der Geschichte umgehen sollen?

Mansfeld: Es geht darum, dass nun jede Kleinigkeit zur Schlagzeile erhoben wird. Wulff hat in dem Fernsehinterview gesagt, man habe sich per Handschlag geeinigt. Nun kommen die Rechtsanwälte und sagen, solche Kreditgeschäften mit Verbrauchern bedürfen der Schriftform – ist das nun die durchschlagende Schlagzeile, die ich bringen muss? Alles wird auf die Nummer eins gesetzt, wenn man es nur irgendwie da rein quetschen kann.

Aber es steht doch außer Frage, dass Herr Wulff lauter Widersprüche liefert und damit neuen Stoff für die Berichterstattung.

Mansfeld: Wenn wir nicht in dieser Dynamik wären, dann würde diese Tatsache nicht auf den Titelseiten laufen. Nun ist die Frage, wie kommen wir da raus? Erstens halte ich sehr viel davon, dass der Klügere nachgibt – deshalb, weil eine Auseinandersetzung immer die Gefahr bietet, dass man sich komplett verheddert. Und das man irgendwann, etwas macht, nicht aus dem eigenen Verständnis, sondern um dem anderen zu schaden. Deshalb gibt der Klügere nach.

Natürlich dürfen wir hier Ursache und Wirkung nicht verwechseln, das will ich ja auch nicht. Wulff hat sein Privatleben instrumentalisiert, er hat ein katastrophales Krisenmanagement betrieben, er hat im Grunde alles falsch gemacht, was man irgendwie falsch machen kann. Aber an irgendeinem Punkt muss ich mir doch zugestehen, das ist so wie es ist. Ich kann doch jetzt nicht versuchen, mit der nächsten kleinen Kleinigkeit, den zum Rücktritt zu zwingen. Das ist doch die Motivation, die dahinter steht. Ab irgendeinem Punkt muss ich auch mal sagen: jetzt gelten wieder andere Maßstäbe.

Sie sagen nun, die Medien haben die Berichterstattung zu weit getrieben, die rote Linie überschritten. Wo hätten sie aufhören müssen?

Mansfeld: Die Linie ist überschritten, wenn man uralte Geschäftsessen wieder rauskramt und jetzt auch mit der Aussage der Bank. Wir wissen ja gar nicht, wie das gelaufen ist. Es heißt ja, die Bank widerspricht. Ist die Bank hingegangen und hat gesagt: "Ne, ne, das stimmt nicht"? Nein, da sitzen Herrscharen von Anwälten und sezieren jeden Punkt und jedes Komma, den Wulff in der Live-Sendung gemacht hat, überprüfen den juristisch und schauen nach Schwachpunkten. Und irgendwo kommt dann etwas heraus, was nicht ganz stimmig ist. Aber das wird der Sache doch auch nicht gerecht.

Ich bin auch gebeten worden, das Interview anzuschauen. Ich habe, wie alle normalen Zuschauer, die sich auch keine Notizen gemacht haben, das Gespräch angesehen. Wenn ich das dann aufzeichne, um den Inhalt Punkt für Punkt nachzulesen und zu überprüfen, dass wird der Bewertung einer Live-Sendung nicht gerecht. Da setzen wir Maßstäbe an, die nicht passen. Da sitzt ein Mensch und kein Gott. Und natürlich ist der nervös, weil er ja auch weiß, dass er da Mist gebaut hat. Das hat er ja auch zugegeben. Die rote Linie ist da überschritten, wo das Medium nicht mehr die Rolle des Berichterstatters einnimmt, sondern anfängt, selber Politik zu machen. Das ist für einen selber sehr schädlich, denn man hat nicht mehr den Leser oder Zuschauer im Blick, sondern nur noch sich selbst.

Die Medien stehen sowieso in der Diskussion - sie haben nicht den besten Ruf. Zu unrecht, aber durch solche Aktionen gefährdet man die Qualität seiner Wahrnehmung. So zum Beispiel auch, wenn man wie der Bayrische Rundfunk einen kranken Mann interviewt, nämlich den Wulff-Biografen Karl Hugo Pruys. Das ist ein krasser Verstoß gegen den Pressekodex und die unterste Schublade, derer man sich bedienen kann.

"In dem Moment,

in dem etwas heißt läuft,

muss einer mal sagen: Halt!"

 

Wo steht denn ihrer Meinung nach der Journalismus in Deutschland - wird alles boulevardesk?

Mansfeld: Um Gottes Willen, ich bin da kein Pessimist. Ich sehe nur, dass da in Wellen Hysterien entstehen – und das durch diese dann Schaden entstehen. Zum Beispiel auch bei der Finanzkrise 2008: Da wurde alles rein gepackt, alle schlechten Nachrichten wurden damit in Verbindung gebracht. Das schadet der Reputation der Medien. Insgesamt finde ich, dass wir immer noch eine beispielhaft gute, funktionierende, pluralistische Berichterstattung in Deutschland haben. Aber in dem Moment, in dem etwas heißt läuft, eine Hysterie entsteht, da muss einer mal sagen: Halt!

Glauben Sie, das jemand von der Medienseite über die Affäre stolpern und zurücktreten wird?

Mansfeld: Das nicht, aber es beschleicht einen das Gefühl, dass es bei einigen gar nicht mehr so sehr um journalistische Prinzipien geht, sondern darum, der Welt zu beweisen, wer mehr Macht hat. Nehmen Sie Kai Diekmann. Das ist auch eine persönliche Auseinandersetzung. Auf der einen Seite der "Bild"-Chef, auf der anderen Seite der Bundespräsident. Das ist eine Ego-Nummer. Die kann den Lesern und Zuschauer nicht gefallen, der Verlagsleitung im Übrigen erst recht nicht. Er stellt das Ego über alle andere Interessen und er hat ja diese Macht nur aufgrund seiner Funktion. Und damit instrumentalisiert er seine berufliche Position für ein privates Partikularinteresse.


Hasso Mansfeld (49) arbeitet als selbstständiger Kommunikationsberater. Die Beschäftigung mit philosophischen Fragen ist fester Bestandteil seiner Beratungstätigkeit. Für seine Ideen und Kampagnen ist er mehrfach ausgezeichnet worden.