Die Bewegung gegen die Todesstrafe in den USA hat Grund zur Hoffnung. Sie will deshalb jetzt erst recht ihre Bemühungen gegen staatliche Hinrichtungen verstärken. Denn immer weniger Gerichte sprechen Todesurteile aus. Darüberhinaus mehren sich in der Öffentlichkeit die Bedenken. Außerdem werden jetzt zu Zeiten der Wirtschaftskrise die hohen Kosten als Argument gegen das Todesstrafensystem ernster genommen. Ein Jahresrückblick ergibt, dass in 2011 die Zahl der Todesurteile erstmals wieder unter 100 lag. Das ist die niedrigste Zahl seit der Wiedereinführung des archaischen Bestrafungsrituals vor 35 Jahren, ein "historisches Tief", wie es Ende Dezember im öffentlichen Radiosender "National Public Radio" hiess.
Trotzdem: 78 Angeklagte wurden nach Informationen des gemeinnützigen Washingtoner "Death Penalty Information Center" (DPIC), das akribisch Buch führt, im vergangenen Jahr zum Tode verurteilt. 43 Häftlinge wurden hingerichtet. Allerdings waren vor zehn Jahren die Zahlen bundesweit gerechnet noch doppelt so hoch. Der DPIC-Leiter Richard Dieter, der die umfangreichen Statistiken aus sämtlichen US-Bundesstaaten und auf föderaler Ebene auswertet, interpretiert den Rückgang als langfristigen Trend, der sich wahrscheinlich fortsetzen werde, mit den Worten: "Die Todesstrafenzahlen von 2011 spiegeln das ungute Gefühl wieder, das mehr Amerikaner haben. Denn das ganze System ist von Fehlern und Irrtümern durchzogen, und es wird einfach zu teuer".
Die meisten Hinrichtungen gab es in Texas
Dafür gibt es zahlreiche Nachweise, die vor zehn oder 20 Jahren sehr viel schwerer oder gar nicht erbracht werden konnten. Da DNA-Proben beispielsweise in letzter Zeit mehrfach die Unschuld von Todestrakt-Insassen nachwiesen, erhärteten sich auch bei so manchem Todesstrafenbefürworter die Zweifel. Dieter ist der Meinung, dass mehr Amerikaner als früher auf die Reaktionen aus dem Ausland, vor allem im Westeuropa, achten. So verfügte die Europäische Union im Dezember einen Exportstopp des Wirkstoffes Thiopental-Natrium, das in der Mehrzahl der US-Bundesstaaten ein wichtiger Bestandteil in Hinrichtungsgiftspritzen ist. Wegen Mangels an Thiopental mussten in der Vergangenheit schon mehrere Hinrichtungen verschoben werden. Die einzige US-Firma namens Hospira, die die Killersubstanz herstellt, verweigert den Behörden ebenfalls die Zufuhr.
Auch wenn die Mehrzahl der Hinrichtungen den Massenmedien keinen Bericht wert ist, so schaffen es die Aktivisten der Bewegung gegen die Todesstrafe in Einzelfällen immer wieder, mit gezieler und gut organisierter Medienarbeit Aufmerksamkeit zu erzeugen. Der Aufsehen erregende Fall der Hinrichtung von Troy Davis fällt in diese Kategorie. Eine Menge an widerrufenen Zeugenaussagen und tagelange Proteste direkt vor dem Todestrakt, über die auch die grossen US-Fernsehsender berichteten, haben das Vertrauen vieler Befürworter in die "gerechte Strafe" erschüttert und zum Nachdenken geführt. Dass durch die Todesstrafe unter bestimmten Umständen das Leben eines Unschuldigen riskiert wird – da wird es selbst eingefleischten Hinrichtungsbefürwortern mulmig. Troy Davis Leben wurde dadurch freilich nicht gerettet.
Der hinrichtungsfreudigste Staat ist und bleibt Texas, wo im Jahr 13 Menschen hingerichtet wurden. Texas ist auch der Staat, über dessen Exekutionspraxis sich seine heimischen Politiker brüsten. Als im frühen September 2011 der Journalist Brian Williams bei einer Vorwahldebatte der Republikaner erwähnte, dass der Staat in den vergangenen Jahren 234 Menschen hingerichtet hatte, brach das Publikum in zustimmenden Applaus aus. Die Reaktion des anwesenden Gouverneurs von Texas, Rick Perry, der an der Vorwahldebatte teilnahm: "Ich denke, die Amerikaner wissen, was Gerechtigkeit ist."
Alternative: Lebenslang ohne Bewährung
Dabei war allerdings eine Portion Wunschdenken im Spiel. Denn Umfragen zeigen, dass eine Mehrzahl der Amerikaner Zweifel an der Todesstrafe hat. Der Grund dafür liegt laut dem Leiter der Vereinigung von Bezirksstaatsanwälten Scott Burns aber nicht daran, dass sie die Todesstrafe grundsätzlich ablehnen, sondern weil es es eine neue Alternative gibt, die noch dazu nicht so viel kostet: lebenslang ohne Aussicht auf Bewährung. Mit Bedauern sagt Burns, dass "ein Todesstrafenurteil in Wirklichkeit 25 Jahre lang Berufungen und neue Berufungen hervorruft", und dass "die Todesstrafe nur selten angewendet wird". Lebenslang ohne Bewährung sei auch für die Verbände von Angehörigen von Kriminalitätsitätsopfern akzeptabel, meint Burns.
Todesstrafengegner blicken hoffnungsvoll auf die Wahlen im November 2012, wenn nicht nur der US-Präsident und Angeordnete, sondern auch einzelstaatliche Volksabstimmungen zur Wahl stehen. Denn Kalifornien könnte ein weiterer Meilenstein bei der Abschaffung der Todesstrafe sein. Der Westküstenstaat hat mit 722 Todeszelleninsassen zwar die meisten Häftlinge in "death row". Aber vor sechs Jahren hatte eine Richterin ein Todesstrafen-Moratorium verhängt. Im November wird voraussichtlich der Entwurf "Senate Bill 400" zur Abstimmung gestellt. Das Hauptargument in dem Fast-Pleitestaat gegen die Todesstrafe ist finanzieller Art. Denn für die 13 Hinrichtungen, die Kalifornien von 1978 bis zum Moratorium 2006 ausführte, wurde die Summe von vier Milliarden Dollar ausgegeben. Lebenslang würde nur einen Bruchteil davon ausmachen.
Max Böhnel arbeitet als freier Journalist in New York.