40 jugendliche Flüchtlinge hungern für ihre Rechte
Schrei nach Aufmerksamkeit: 41 Jugendliche aus Afghanistan sind in einen Hungerstreik getreten. Sie protestieren gegen die Bedingungen ihrer Unterbringung im Münchner Flüchtlingslager.
12.01.2012
Von Rieke C. Harmsen

Mohammed (Name geändert) hat seit zehn Tagen nichts gegessen. Der 16-jährige Flüchtling aus Afghanistan ist im Hungerstreik. Seit mehr als sechs Monaten lebt er in der ehemaligen Bayernkaserne im Münchner Norden in einem Mehrbettzimmer. Angekündigt waren drei Monate. Doch kommt die "Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährigen Flüchtlinge" nicht mehr hinterher mit der Arbeit. Statt der geplanten 50 leben derzeit rund 130 Jugendliche in der Kaserne, und bis ihr Verfahren geprüft wird und sie in eine Jugendhilfeeinrichtung kommen, vergehen Monate.

Am Mittwochabend sind 20 der Asylbewerber ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Situation der Streikenden in der Unterkunft habe sich verschärft sich, weil einige der Jugendlichen sich auch weigerten zu trinken, teilten die Innere Mission München und die Kampagne "Nako! Stop Deportation to Afghanistan" am Donnerstag in München mit.

Evangelische Kirche plant "Jugendcafé"

Am vergangenen Montag hatten sich weitere 40 Jugendliche in der Bayernkaserne Mohammeds Hungerstreik angeschlossen. Bei einem Gespräch mit Vertretern von Regierung, Behörden und Pfarrer Andreas Herden von der Inneren Mission München formulierten die Jugendlichen am Dienstagabend ihre Wünsche: eine sichere und ruhige Bleibe, mehr Freizeitaktivitäten und einen besseren Zugang zu Bildungsangeboten, etwa mit einem kostenlosen Bibliotheksausweis - vor allem aber wollen sie Betreuer, die sie über ihre Rechte informieren, die Zeit haben für ein Gespräch und nicht nur im Notfall zu sprechen sind, die sich um ihre psychischen Probleme kümmern und nicht nur dafür sorgen, dass Psychopharmaka verschrieben werden.

"Es war ein Schrei nach Aufmerksamkeit und Zuwendung", schildert Pfarrer Herden am Mittwoch die Begegnung. Die Jugendlichen fühlten sich wie Bäume, deren Wurzeln ausgerissen worden seien. "Sie leiden unter Kriegstraumata und sind ohne ihre Eltern ganz auf sich selbst gestellt. Sie benötigen Schutz, Sicherheit und Ruhe", sagt Herden.

Die zuständigen Behörden und Einrichtungen seien zwar bemüht, die Situation der minderjährigen Flüchtlinge zu verbessern. Doch dauerten die Verfahren meist länger als die vorgesehenen drei Monate. Es gibt nicht genügend Geld für das Betreuungspersonal und die Deutschkurse. Besserung ist nicht in Sicht, denn die Zahl der Flüchtlinge steigt stetig. Die Bayernkaserne hat ihre Kapazitätsgrenze erreicht: Von den 400 Plätzen sind 379 belegt - mit Flüchtlingen aus Afghanistan, Somalia und dem Irak.

Das Warten ist zermürbend

"Die Situation in der Bayernkaserne ist eine große Belastung, das Warten ist zermürbend", sagt Herden. Aber die Jugendlichen seien auch in der Pflicht: "Diese Jungs müssen die Verantwortung für ihr Leben übernehmen." Als Beispiel dafür erzählt er, dass zwei bis drei Mal am Tag in der Kaserne falscher Alarm ausgelöst wird. "Jedes Mal rückt die Feuerwehr an, und alle 400 Bewohner müssen aus dem Gebäude", berichtet der Pfarrer. Es sei an den Jugendlichen, dazu beizutragen, dass solche Zwischenfälle unterbleiben und es ruhig bleibe in der Einrichtung.

Um das Gefühl für Verantwortung zu stärken, kündigte die Innere Mission - abgesehen von den Sprachkursen, an denen täglich rund 80 Jugendliche teilnehmen - zwei weitere Projekte an. So wollen Jugendliche der evangelischen Hoffnungskirche Freimann ein "Jugendcafé" in der Bayernkaserne einrichten. Außerdem will ein Diakon mit Münchner Jugendlichen eine Gruppe gründen, die die afghanischen Flüchtlinge unterstützt.

epd