Österreich: "Ein Winter von Null auf Hundert"
Der Winter kam spät, aber mit Macht: Die Schneemengen erreichten in den österreichischen Alpen in den vergangenen Tagen Rekordmarken. Straßen wurden gesperrt, Orte abgeschnitten. Jetzt entspannt sich die Situation.
11.01.2012
Von Irmgard Rieger

Hubschrauber sind im Einsatz, um den Schnee von den Bäumen zu blasen, umgeknickte Bäume werden von den Straßen geräumt, Lawinen vorsorglich abgesprengt. In Österreich sind nach den extremen Schneefällen der vergangenen Tage die Aufräumarbeiten im Gange. Nach tagelangem Schneegestöber setzt sich allmählich die Sonne durch. Die Urlauber genießen das Skifahren auf knirschendem Neuschnee.

"Es liegt mindestens ein Meter Schnee"

"Es ist ein Winter von Null auf Hundert", sagt Andreas Steibl. Der Geschäftsführer des Tourismusverbandes Paznaun-Ischgl im Westen des Landes kommt eben von einer Besprechung, bei der beschlossen wurde, die Zufahrtstraße in das Hintere Paznauntal weiter gesperrt zu lassen. "Die Lawinengefahr ist noch hoch", erklärt Steibl der Deutschen Presse-Agentur dpa. "Es ist aber eine reine Sicherheitsmaßnahme."

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Für den Tiroler ist die Situation nicht so außergewöhnlich. "In den letzten Tagen ist viel Schnee gefallen", sagt er, "aber eigentlich ist es ein normaler Winter. Wir sind im Hochgebirge." Dennoch - die gewaltigen Massen innerhalb kurzer Zeit sind auch in den schneesicheren Skigebieten die Ausnahme.

Vielerorts weiß man nicht einmal genau, wie viel Schnee liegt. Die Messlatten sind nicht lang genug. Am Arlberg etwa in 2.100 Meter Höhe steht die Schneeanzeige bei 413 Zentimetern. Ein Angestellter der Liftbetriebe allerdings sagte dem Österreichischen Rundfunk ORF: "Wir gehen davon aus, dass mindestens ein Meter mehr liegt."

Österreichs Skiorte versinken im Schnee

Die Kombination von sehr viel Schneefall in kurzer Zeit und starkem Wind brachte auch hohe Lawinengefahr. In Tirol und Vorarlberg herrschte tagelang Stufe vier auf der fünfteiligen Skala. Am Dienstag wurde die Gefahr zwar in diesen Gebieten auf Stufe drei herabgesetzt, verlagerte sich aber in Richtung Osten: Nun sind Skigebiete im Salzburger Land, in Oberösterreich und in der Steiermark gefährdet.

Die chaotische Situation in den österreichischen Alpen hatte sich am Montag zunächst zugespitzt. Das Bundesland Vorarlberg im Westen des Landes war bis Mittag von der Außenwelt abgeschnitten. Wegen der enormen Schneemengen gab es weder auf der Straße noch per Bahn ein Durchkommen. Auch in Salzburg und Tirol waren mehrere Orte und Gebiete nicht zu erreichen. Die Lawinengefahr stieg in hohen Lagen auf Stufe vier der fünfteiligen Skala. Eine Entspannung ist erst allmählich in Sicht.

An der Arlberg-Bundesstraße, der Verbindung von Tirol nach Vorarlberg, wurde ein Hubschrauber eingesetzt, um die Straße wieder passierbar zu machen. Eine Baumgruppe drohte wegen der Schneelast auf die Straße zu stürzen, erklärte Autobahnmeister Stefan Siegele. Rund 40 große Fichten an einem Steilhang oberhalb der Straße waren betroffen. "Für die Einsatzkräfte war das unmöglich zu erreichen", sagte Siegele. Schließlich stieg ein Hubschrauber des österreichischen Bundesheeres auf und flog so nahe an die Stelle heran, dass der Rotor-Abwind den Schnee von den Ästen blasen konnte.

Von einer "außergewöhnlichen Situation" sprach nach Angaben der Nachrichtenagentur APA auch der Bürgermeister von Lech am Arlberg. Dabei ist die Vorarlberger Gemeinde im Winter häufiger kurzfristig von der Umgebung abgeschnitten. Auch das Hintere Paznauntal und Seitentäler des Lechtales waren zeitweise nicht erreichbar. In mehreren Orten waren am Montagvormittag Tausende Haushalte ohne Strom.

"Keiner muss verhungern oder verdursten"

Nach Einschätzung von Experten allerdings trifft die Gefahr derzeit vor allem Skifahrer, die sich abseits der gesicherten Pisten bewegen. Von der hoch brisanten Lawinenlage im schneereichen Winter 1999 ist die Situation jetzt für Tourismusmanager Steibl noch weit entfernt. Damals donnerte am 23. Februar eine Lawine in den 800-Einwohner-Ort Galtür im Hinteren Paznauntal. 31 Menschen starben.

Heute gibt es für die Touristen nach Steibls Ansicht keine Gefahr - weder durch Lawinen noch durch Versorgungsengpässe. Die Menschen fühlten sich nach zwei Tagen Straßensperre auch noch nicht eingeschneit. "Es gibt keine Bunkerstimmung, und verhungern oder verdursten muss keiner bei uns", meint Steibl.

So entspannt ist die Stimmung nicht überall. Im Gebiet der Axamer Litzum wird seit Samstag nach einem Jugendlichen gesucht. Über 100 Helfer sind im Einsatz, Lawinen wurden vorsorglich abgesprengt, um die Gefahr für die Suchtrupps möglichst gering zu halten. Im Skigebiet Wagrain im Salzburger Land sind Hubschrauber im Einsatz, um mit dem Rotor-Abwind den Schnee von den Bäumen zu blasen.

Nach den Prognosen der Wetterdienste hat Österreich den massiven Winter-Ansturm fürs erste hinter sich. In den kommenden Tagen soll sich die Sonne im gesamten Alpenraum durchsetzen. Schnee wird erst wieder am Wochenende erwartet - aber in deutlich geringeren Mengen.

dpa