"Ein Platz am Tisch – ein Platz im Leben"
Elfriede Haas leidet unter Depressionen. Sie kann zwar selbständig leben, aber nicht allein. Ein Wohnheim kam für die gelernte Krankenpflegehelferin nicht in Frage. Sie lebt bei einer Familie auf einem Bauernhof - ein Modell, mit dem sich alle Beteiligten wohl fühlen. Das "Betreute Wohnen in Familien" gibt es bundesweit.
10.01.2012
Von Marijana Babic

Im Gegensatz zu früheren Zeiten, als sogenannte "Irre" einfach weggesperrt wurde, gibt es inzwischen flächendeckend Modelle, um psychisch kranke Menschen aus ihrem Schattendasein zu holen. Ein Modell ist das "Betreute Wohnen in Familien für psychisch Kranke" (BWF) in Baden-Württemberg. Ähnliche Institutionen gibt es fast in der ganzen Bundesrepublik. Der Gedanke dahinter ist, Menschen, die psychisch erkrankt sind, in eine Familie und deren Alltag zu integrieren und ihnen so die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, statt sie auszugrenzen. 

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Dass zum Beispiel das BWF in Baden-Württemberg funktioniert, zeigt das Beispiel von Elfriede Haas aus Oberharmersbach im Ortenaukreis, die in einer Familie im selben Landkreis (und mit demselben Nachnamen) ein neues Zuhause gefunden hat. Die 44-Jährige Elfriede Haas ist gelernte Krankenpflegehelferin und leidet bereits seit sechs Jahren an Depressionen, "weil so einiges zusammenkam", wie sie knapp äußert. Mehr will sie dazu nicht sagen. In ihrer eigenen Familie war kein Platz für sie. Doch sie wirkt vergnügt und die Gasteltern Walter und Sabine Haas vom Mooshof, einem landwirtschaftlichen Betrieb im Vollerwerb, haben ihren Schützling gern bei sich. Den Kontakt hat die Beratungsstelle für soziale und psychologische Dienste in Lahr vermittelt.

Eine Einliegerwohnung ist genau das Richtige

Elfriede Haas arbeitet tagsüber in einer Reha-Werkstatt im nahegelegenen Hausach und fährt dort jeden Morgen selbst mit dem Auto hin. Sie gilt als sehr selbstständig und langfristig besteht für sie die Perspektive, wieder auf eigenen Füßen stehen zu können. Doch momentan ist sie froh, dass jemand da ist, wenn es ihr schlecht geht. Psychische Belastungen äußern sich bei Elfriede Haas vor allem somatisch. Dann plagen sie Schüttelanfälle und sie ist erleichtert, wenn jemand sich um sie kümmert und sie zum Beispiel zum Arzt fährt. "Ich habe gezielt eine Familie gesucht", berichtet "ich war zuvor erst in stationärer Behandlung und dann in einem Heim, aber dafür war ich zu fit. Dort habe ich mich nicht wohl gefühlt."

(Bild v.l.: Walter Haas, Elfriede Haas, Sabine Haas, Betreuerin Andrea Weber. Foto: Marijana  Babic) 

Seit dem 1. Mai dieses Jahres ist sie auf dem Mooshof und hat bereits enge Bande zu den Gasteltern, den vier Kindern, den Großeltern sowie dem Vierbeiner "Lucky" geknüpft, der besonders an ihr hängt. "Wir hatten zwei Ferienwohnungen, die wir auf Dauer vermieten wollten", berichtet Sabine Haas, die Gastmutter, über die Vorgeschichte, "als ich dann diese Broschüre über das Betreute Wohnen in die Hände bekommen habe, schlug mein Herz höher. Wir haben uns bei der Beratungsstelle zu einem Gespräch angemeldet. Da sind wir über alles aufgeklärt worden."

Eine Einliegerwohnung stellte sich als ideal für die recht selbstständige Elfriede Haas heraus. Auch dass der Mooshof ein landwirtschaftlicher Betrieb ist, war passend, weil die Bewohnerin auf einem solchen aufgewachsen ist. Täglicher Kontakt prägt dabei das herzliche Verhältnis. Nach der Arbeit meldet sich Elfriede Haas bei der Familie, um ein Schwätzchen zu halten. Wenn Stallarbeiten anstehen, nutzt sie die Gelegenheit zu einem Plausch. An den Wochenenden nimmt sie an Ausflügen teil und wenn sie krankgeschrieben ist, wird gemeinsam zu Mittag gegessen. Oft werden abends in großer Runde Gesellschaftsspiele gespielt und da die Gasteltern Haas in der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde engagiert sind und einen Bibelkreis leiten, ist die Bewohnerin auch dort mit von der Partie. Ansonsten ist die 44-Jährige Selbstversorgerin.

"Das Alltagsleben zeigt, wie die Dinge wirklich stehen"

"Ich fühle mich sehr heimisch", sagt sie, "die Chemie stimmt einfach." Sabine Haas sagt dazu: "Obwohl wir die Dinge im Vorfeld besprochen haben, war es für uns ein Wagnis. Denn das Befinden kann sich innerhalb einer Viertelstunde ändern und dann ist man gefordert. Das Alltagsleben zeigt, wie die Dinge wirklich stehen." Sie sei von Beruf Krankenschwester und habe immer das Bedürfnis gehabt, anderen zu helfen. "Ich bin froh, dass die Elfriede bei uns ist und ich meine Gaben einsetzen kann. Das Miteinander ist sehr schön." Vor allem derzeit gehe es Elfriede Haas öfter schlecht. Die schützende Hand der Gastfamilie gebe ihr Sicherheit.

"Es funktioniert sehr gut", unterstreicht Andrea Weber von der Beratungsstelle, die die Familie betreut. "Wir wollen mit dem Betreuten Wohnen in Familien so viel Eigenständigkeit und Normalität für psychisch Kranke herstellen wie nur möglich. Deswegen auch unser Motto "Ein Platz am Tisch – ein Platz im Leben". Wir achten darauf, dass wir nur Personen zusammenbringen, bei denen die Chemie stimmt. Elfriede ist dabei sehr gut in die Großfamilie integriert." Derzeit gäbe es rund 30 Gastfamilien im Ortenaukreis – eine relativ kleine Zahl gemessen daran, dass es sich um den größten Landkreis in Baden-Württemberg handelt. "Dabei ist die Kostenersparnis erheblich im Vergleich zu Unterbringungen im Heim", sagt Weber, "auch insofern ist das BWF eine gute Sache."

Einem Erkrankten einen Platz am Tisch anzubieten, heißt tatsächlich, ihm einen Platz im Leben anzubieten. Gerade psychisch kranke Menschen reagieren sehr sensibel auf ihre Umgebung. Dass Gastfamilien gesucht werden, liegt oft daran, dass die eigenen Familien nichts mit den Erkrankten zu tun haben wollen. Jemanden liebevoll aufzunehmen bedeutet damit ein Stück weniger Schmerz für eine ohnehin belastete Seele.


Marijana Babic ist freie Journalistin.