Mexiko: Kinder in den Fängen der Drogenmafia
Seit Jahren werden Kinder und Jugendliche in Mexiko in den Drogenkrieg hineingezogen - als Auftragskiller oder Spitzel. Organisationen schätzen, dass in den vergangenen fünf Jahren etwa 23.000 Kinder und Jugendliche in die Fänge von organisierten Banden geraten sind. Die Stadt Monterrey will diesen Kindern neue Perspektiven aufzeigen.
06.01.2012
Von Gabriela Espinoza

Bisher war Francisco ein "Falke", ein Spion für die mexikanischen Drogenbanden. Der Junge beobachtete die Polizei oder rivalisierende Gruppen und informierte seine Auftraggeber, wenn etwas Verdächtiges passierte. Jetzt hat der 16-Jährige ein neues Leben angefangen - fern von der Kriminalität.

In einem Gemeindezentrum der Stadt Monterrey im Nordosten Mexikos hat er wieder mit der Schule begonnen, besucht Spanischstunden, spielt Fußball und hat die Musik für sich entdeckt. Francisco nimmt an einem Programm teil, das die Regierung des Bundesstaates Nuevo León gestartet hat - für Jugendliche wie ihn, damit sie aus den Klauen der Drogenbanden entkommen.

Das Zentrum liegt in der berüchtigten "Colonia Independencia", einem sozialen Brennpunkt Monterreys. Rund 70.000 Menschen leben in dem Viertel. Jahrelang wurden die Straßen von Drogenbanden kontrolliert, so dass sich nicht einmal die Polizei hineinwagte. So ist es nicht verwunderlich, dass auch Francisco in das Milieu abrutschte. Seine Freunde drängten ihn dazu, sie waren schließlich auch drin.

Rund elf Millionen Euro flossen in das Projekt

Etwa 23.000 Kinder und Jugendliche in Mexiko sind in den vergangenen fünf Jahren in die Fänge von organisierten Banden geraten, schätzt der Ausschuss für öffentliche Sicherheit des Abgeordnetenhauses in einem im vergangenen Jahr vorgelegten Bericht.

Francisco hat ein Stipendium und belegt Vorbereitungskurse für den angestrebten Schulabschluss. "Ich bin sehr glücklich, weil ich lernen werde, ohne Ausgaben zu haben. Das hat mich vorher davon abgehalten. Und nun kann ich sogar Musikklassen belegen." Vor allem liebt er Vallenato, eine kolumbianische Musikform, die in einem Ensemble aus Akkordeon, Trommel und Schlaginstrument gespielt wird.

Auf einem Freigelände sind zwei Gebäude errichtet worden, in denen die Kurse angeboten werden. Sporthallen, ein Kinosaal, Klassenzimmer und andere Einrichtungen für pädagogische Zwecke sind dort entstanden. Gefördert wurde das Ganze vom Ministerium für Soziales im Bundesstaat Nuevo León. Umgerechnet rund elf Millionen Euro flossen in das Projekt.

Allein im vergangenen Jahr wurden dort 1.500 Menschen getötet

Die Leiterin des Zentrums freut sich über die große Nachfrage: "Schon eine Woche nach der Einweihung im September erhielten wir mehr als 2.800 Anfragen für Kurse im Kochen, Musik, Nähen und Sport", sagt Juana Aurora Cavazos. Auf den Straßen Monterreys herrscht aber immer noch eine andere Realität: Unsicherheit und Gewalt prägen den Bundesstaat Nuevo León. Allein im vergangenen Jahr wurden dort 1.500 Menschen getötet.

Mit Einrichtungen wie dem Gemeindezentrum wollen die Behörden das Stadtviertel aufwerten und den Menschen neue Perspektiven bieten. Als Modell diente ihnen die Stadt Medellín in Kolumbien. Auch dort heuerten die Drogenbosse in den 1980er und 90er Jahren Jugendliche an - als Auftragskiller oder für kleine Jobs. Auch dort wagte sich die Polizei kaum in die Viertel hinein. Einige Gemeinden wandelten sich indes, bauten Büchereien und andere Einrichtungen, um der Jugendkriminalität einen Riegel vorzuschieben.

Das Thema Sicherheit spielt auch in Monterrey eine große Rolle. Sicherheitskräfte sollen eingestellt werden, um Gebäude und Wohnhäuser zu bewachen. "Wir wollen das Leben der Menschen mit den Schulen verändern und einen kulturellen und mentalen Wandel einleiten. Die Menschen sehen, dass wir Raum für das Zusammenleben in den Familien zurückgewinnen", sagt die Leiterin des Gemeindezentrums.

dpa