"Die Verführerin Adele Spitzeder", 11. Januar, 20.15 Uhr im Ersten
Die Geschichte klingt, als sei sie an den roten Haaren der Hauptfigur herbeigezogen, doch sie ist wahr. Und sie zeigt, dass alles schon mal da gewesen ist: Vor rund 150 Jahren hat die mittellose Schauspielerin Adele Spitzeder in einem Münchener Wirtshaus eine Bank eröffnet. Ihr anfangs überschaubarer Kundenkreis explodierte förmlich, als sich unter den Arbeitern und Handwerkern herumsprach, dass sie großzügige Zinsen vergab und diese in bar auszahlte. Die Geschäftsmethode funktionierte ähnlich wie beim Milliardenbetrüger Bernie Madoff nach dem Schneeballsystem, weil sich immer neue Anleger fanden, deren Einlagen die Zinsen der anderen finanzierten. Aber der Erfolg weckte selbstredend die Missgunst mächtiger Konkurrenten, zumal Adele einen offenbar höchst anstößigen Lebenswandel bevorzugte. Ein Komplott führte schließlich zum Bankrott.
Die Liebe zur Kunst
Nach einem Drehbuch von Ariela Bogenberger erzählt Xaver Schwarzenberger (Kamera und Regie) die Geschichte der "Spitzederin" als Sittengemälde mit wunderbaren Dialogen, das seine Hauptfigur auch optisch regelrecht verklärt. Gerade in den Gegenlichtaufnahmen scheint die von Birgit Minichmayr gewohnt kraftvoll und energisch verkörperte Heldin fast von einer Gloriole umgeben. Es ist in der Tat nicht Gier, die sie antreibt, zumindest nicht allein. Wenn sie mit vollen Händen das Geld unter den Armen verteilt, dient das naturgemäß der Mehrung des eigenen Ruhms, ist also letztlich Reklame, doch die mildtätigen Gaben scheinen auch von Herzen zu kommen. Letztlich ist es ohnehin die Liebe zur Kunst, die sie antreibt, denn vom Erlös der Geldgeschäfte will sie im Herzen Münchens ein Theater errichten.
Der Film lebt selbstredend von seiner ungewöhnlichen Protagonistin und ihrem aufreizenden Geschäftsgebaren; in den Gemächern stapeln sich die Banknoten wie anderswo das Altpapier. Das Szenenbild (Michael Bauers) sorgt für die nötige Authentizität. Doch die große Stärke des Dramas sind die sorgfältig ausgewählten Darsteller, die ausgezeichnet zu ihren Rollen passen: Johannes Herschmann als von Adele erst benutzter und dann gedemütigter Pfandleiher; Maximilian Krückl als seiner Herrin in tiefer Zuneigung ergebenes Faktotum, dessen enttäuschte Liebe schließlich das Ende einleitet; Sunnyi Melles als herrlich überkandidelte Mutter der Heldin und gleichfalls Schauspielerin; Alicia von Rittberg als Spitzeders Mündel Theres, dem die Gönnerin zu Kultur verhilft; und schließlich in einer Schlüsselrolle Florian Stetter als Dichter und Dramatiker Balthasar, der früh ahnt, dass die Dinge kein gutes Ende nehmen werden. Er schreibt der Schauspielerin ein Mysterienspiel auf den Leib, doch sie wirft es erzürnt ins Feuer. Immerhin führt dies im Epilog zu einer originellen Begegnung Balthasars mit Hugo von Hoffmannsthal und somit zum krönenden Abschluss für diese sehenswerte Parabel auf aktuelle Ereignisse.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).