Begegnungen an der Schwelle des Todes
Die Ehrenamtlichen der ambulanten Hospiz-Gruppe Gutachtal im Schwarzwald begleiten Sterbende, wenn diese das wünschen. "Ars moriendi" oder die "Kunst des Übergangs" – ein Gespräch mit der Sterbebegleiterin Monika Baumann-Kempf über Begegnungen an der Schwelle des Todes.
06.01.2012
Die Fragen stellte Marijana Babic

Frau Baumann-Kempf, wie sind Sie darauf gekommen, sich ehrenamtlich als Sterbebegleiterin zu betätigen?

Monika Baumann-Kempf: Meiner Meinung nach sollte jeder da sterben dürfen, wo er auch gelebt hat. Das Thema zieht mich an und es hängt viel Herzblut daran. Man muss sich vorstellen: Früher sind die Leute im Kreise ihrer Familie zu Hause gestorben. Heute ist vieles standardisiert und genormt, was ich nicht richtig finde. Denn man darf tote Angehörige immer noch 48 Stunden zu Hause behalten, um ihnen einen würdevollen Tod im Rahmen der Familie zu erlauben, wobei man voneinander Abschied nehmen kann.

Auf mich persönlich haben außerdem die Studien von Elisabeth Kübler-Ross, die sich mit Nahtoderfahrungen und dem Tod beschäftigt hat, großen Eindruck gemacht. Jeder stirbt individuell und hat ein Recht darauf, so zu sterben, dass es ihm gerecht wird. Und jeder hat ein Recht darauf, schmerzfrei zu sterben. Man muss Sterbende wichtig nehmen, ihre Wünsche respektieren, statt sie in genormte Schubladen zu stecken. Das kommt viel zu häufig viel zu kurz in einer anonymisierten Atmosphäre.

"Herr, lehre uns bedenken,

dass wir sterben,

auf dass wir klug werden"

 

Darum ging es auch in dem Kurs im Hospiz "Maria Frieden"?

Baumann-Kempf: Themen des Kurses waren die allgemeine Institutionalisierung, Standardisierung und Normierung im Prozess des Sterbens. Es ging darum, dass Sterben personalisiert sein muss, denn es stirbt nicht jeder gleich. Genauso wenig, wie jeder gleich lebt. Im Haus "Maria Frieden" wird dieser starke persönliche Aspekt praktiziert und dies macht dieses Hospiz so besonders. Das Hospiz mit seiner familiären Atmosphäre hat großen Eindruck auf mich gemacht.

Die Normierung von Menschen bis in den Tod hinein liegt sicher auch daran, dass unsere Gesellschaft dem Ideal der ewigen Jugend nachläuft, stattdessen Fitness und Gesundheit betont und kaum Platz für den Gedanken hat, dass es irgendwann vorbei ist.

Auf jeden Fall war Sterben früher viel präsenter, weil die Leute jünger gestorben sind. Heute werden die Menschen 80 oder 90, leben häufig in Seniorenheimen, sterben dort und der Tod ist längst nicht mehr so im Blickpunkt. Ich denke in diesem Zusammenhang aber immer an einen bestimmten Satz: "Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben, auf dass wir klug werden."

Sie sind evangelisch. Spielen religiöse Aspekte denn eine große Rolle in Ihrer Sterbebegleitung?

Baumann-Kempf (Bild links, Foto: Babic): Ich bete auf jeden Fall für die Betroffenen. Wenn ich mit ihnen beten will, dann frage ich vorher, ob sie das möchten. Die Glaubensrichtung jedes Einzelnen wird dabei respektiert. Denn was nach dem Tod kommt, das weiß letztlich niemand von uns. Ich persönliche glaube aber weniger an einen strafenden Gott, weil Jesus gekommen ist, um uns zu erlösen. Sicher ist es nicht egal, wie man sein Leben geführt hat, aber ich glaube an die Gnade.

Als mein Vater im Sterben lag, haben wir in der Gemeinde für ihn gebetet. Ich war mir in dieser Nacht, als es ihm so schlecht ging, sicher, dass ich ihn nicht mehr lebend wiedersehen werde. Aber er hat sich erholt und noch 20 Jahre gelebt. Für mich war damals wie heute sonnenklar, dass das Gebet in der Gemeinde geholfen hat.

Kann man sagen, dass viele sich im Angesicht des Todes erleichtern wollen, im Sinne einer Lebensbeichte, und über besondere Aspekte in ihrem Leben berichten?

Baumann-Kempf: Ja, viele Menschen wollen sich in ihrer letzten Lebensphase erleichtern und sind dankbar für ein persönliches Gespräch. Das ermöglicht es ihnen, in Frieden zu gehen, weil sie mit sich ins Reine kommen. Auch dafür ist Sterbebegleitung da, denn dies ist ebenfalls eine Form des persönlichen Beistands.

"Der Tod gehört zum Leben,
auch wenn die Gesellschaft
ihn ausblendet"

 

Ist Sterbebegleitung nicht schwer auszuhalten? Immerhin nimmt ein Mensch für immer Abschied. Bewegen Sie starke Gefühle dabei?

Baumann-Kempf: Es ist auszuhalten. Ich persönlich frage mich aber immer: Mache ich es gut genug? Werde ich dem Sterbenden gerecht? Man muss sich klar machen: Der Tod gehört zum Leben dazu, obwohl unsere Gesellschaft den Tod vielfach ausblendet. Wichtig ist es, während der Sterbebegleitung authentisch und ehrlich zu sein und auch klar zu sagen, wie man über manche Dinge denkt, wenn ein Sterbender beispielsweise aus seinem Leben berichtet. In "Maria Frieden" hat man diesen Aspekt der Authentizität und Ehrlichkeit besonders betont. In dem Kurs hieß es auch, dass Sterben die größte Lebenskrise sei, in der ein Mensch besonderen persönlichen Beistand braucht. Das sehe ich auch so.

Allerdings spricht man immer vom Todeskampf, aber bislang habe ich nur erlebt, dass Menschen friedlich von uns gegangen sind. Das liegt vor allem daran, dass viele ältere Menschen sterben wollen. Sie haben mit ihrem Leben abgeschlossen. Sie sind bereit für den Tod und sind mit ihrem Leben und mit sich im Reinen. Wenn ich junge Menschen begleiten würde, weiß ich nicht, ob ich dies so eindeutig sehen würde - ich habe bis jetzt bis auf ein Schicksal nur Älteren beigestanden. Aber ich persönlich glaube, dass es mit dem körperlichen Tod nicht zu Ende ist, es geht danach weiter. Das Sterben ist ein Übergangsprozess, sowohl für die Sterbenden als auch für die Menschen, die Abschied nehmen müssen.

Daher ist der Tod für mich nichts Endgültiges. Aus dieser Perspektive gesehen verliert der Tod viel von seinem Schrecken, sondern erscheint vielmehr als ein natürlicher Prozess. "Ars moriendi", der Titel des Kurses, der die Kunst des Übergangs meint, bedeutet, den Tod in das Leben zu integrieren, ihn als Teil des Lebens zu sehen und Sterbenden die Hand zu reichen, um ihnen den Abschied einfacher zu machen. Ehrliche und authentische Sterbehilfe erleichtert diesen Übergang.


Monika Baumann-Kempf gehört gemeinsam mit vier weiteren Mitgliedern seit sieben Jahren der ambulanten Hospiz-Gruppe Gutachtal im Schwarzwald an. Die Gruppe arbeitet mit dem Deutschen Roten Kreuz zusammen und bietet ehrenamtliche Sterbebegleitung an.