Hundert Jahre Kampfgeist: Der ANC feiert Jubiläum
Die Wiege des ANC stand in einer Kirche: Am 8. Januar 1912 gründeten schwarze Südafrikaner den Afrikanischen Nationalkongress, um für Gleichberechtigung zu streiten. Ein jahrzehntelanger Kampf gegen die Apartheid begann.
06.01.2012
Von Dagmar Wittek

Südafrikas Regierungspartei blickt auf eine große Geschichte zurück, doch Feierlaune will nicht so recht aufkommen. Der 100. Geburtstag am Sonntag kommt für den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) zu einem Zeitpunkt, an dem viele Mitglieder eine grundlegende politische Erneuerung fordern. Doch Korruption und interne Machtkämpfe lähmen die ehemalige Anti-Apartheid-Bewegung. Und der Traum von der gerechten "Regenbogennation" am Kap ist noch nicht Wirklichkeit geworden.

Seit fast 18 Jahren ist der ANC an der Macht, seit den ersten demokratischen Wahlen. Nun bröckelt seine Macht. Zwar konnte sich die Partei bei den jüngsten Wahlen 2009 65,9 Prozent der Stimmen sichern, aber das waren drei Prozentpunkte weniger als bei den Wahlen zuvor. Meinungsumfragen sehen den ANC weiter im Abwärtstrend, denn viele Versprechen aus der Zeit vor 1994 wurden nicht gehalten.

"Das Land gehört allen, die in ihm leben", zitiert der südafrikanische Journalist Peter Makurube aus der von Aktivisten verfassten Freiheitscharta von 1955, deren Grundsätze der ANC in sein Statut aufnahm. Doch bislang sind weniger als vier Prozent des Landes umverteilt worden. Das fruchtbare Farmland ist immer noch fast vollständig in weißer Hand. Zudem lebt nach Angaben der Vereinten Nationen fast die Hälfte der rund 50 Millionen Südafrikaner unter der Armutsgrenze.

"Wir sind nach wie vor Aussätzige in unserem eigenen Land"

"Wir sind nach wie vor Aussätzige in unserem eigenen Land", schimpft Makurube. Damit nimmt er einen Ausspruch von Solomon Plaatje auf. Er gehörte 1912 zu den Gründungsmitgliedern des ANC, der bis 1923 als "Südafrikanischer Eingeborenen-Nationalkongress" (SANNC) firmierte. Ärzte, Anwälte und Intellektuelle aus der damals sehr kleinen schwarzen Elite hoben die Organisation in einer Kirche bei Bloemfontein aus der Taufe. Sie forderten die Gleichberechtigung aller Menschen in Südafrika, egal welcher Hautfarbe.

Es war eine harte Zeit für Schwarze und Farbige in Südafrika, als die britische Kolonialherrschaft 1910 endete. Britische und niederländische Siedler, die sich zuvor in Burenkriegen bekämpft hatten, machten nun Front gegen die Menschen dunkler Hautfarbe, die die Mehrheit stellten: Sie durften weder wählen noch Land besitzen, es gab an Gebäuden und Bussen separate Eingänge für Weiße und Nicht-Weiße. Pässe berechtigten lediglich zum Aufenthalt in genau bestimmten Gebieten.

Der ANC agierte zunächst mit friedlichen Mitteln, setzte auf die Kraft der Argumente und schrieb Petitionen an die weiße Minderheitsregierung. Erst 1944, als Nelson Mandela und mit ihm eine Generation junger zorniger Aktivisten die weitaus militantere ANC Jugendliga gründeten, gewann der Widerstandskampf an Fahrt. Es wurden Kampagnen des zivilen Ungehorsams organisiert. Und nachdem die Polizei 1960 beim Sharpeville Massaker 69 Apartheidgegner erschossen hatte, gründete Mandela Umkhonto we Sizwe ("Speer der Nation"), den bewaffneten Flügel des ANC.

ANC-Chef Jacob Zuma ist nicht Nelson Mandela

Die Regierung verbot den ANC, die Aktivisten gingen in den Untergrund oder ins Exil. Mandela und andere führende Leute wurden verhaftet und 1964 zu lebenslänglich verurteilt. Unterdessen begannen Studentengruppen, Gewerkschaften, Kirchen und weitere legale Organisationen gemeinsam mit dem ANC Streiks und Proteste zu organisieren. Das Regime schlug hart zurück. Bei einem Schüleraufstand 1976 in Soweto wurden fast 200 junge Menschen getötet.

In den 80er Jahren wuchs der Druck im In- und Ausland. Das Apartheidregime begann geheime Gespräche mit ANC-Vertretern. Unter Präsident Frederik Willem de Klerk wurde der ANC legalisiert, Mandela 1990 freigelassen. Der berühmteste Gefangene der Welt erhielt zusammen mit De Klerk den Friedensnobelpreis und wurde 1994 als ANC-Chef zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas gewählt.

Der seit 2009 amtierende Präsident und ANC-Chef Jacob Zuma verfügt nicht über das Charisma Mandelas. Seine Integrität ist angekratzt, auch wenn ein Vergewaltigungsprozess mit Freispruch endete und ein Korruptionsverfahren eingestellt wurde. Zwelinzima Vavi, Generalsekretär des Gewerkschaftsverbandes Cosatu, sagt zur Korruption in der Regierungspartei: "Nun, da wir den 100. Geburtstag des ANC feiern, lasst uns das beste Insektizid finden, um all die Moskitos und Fliegen zu vertreiben."

epd