TV-Tipp des Tages: "Der Atem des Himmels" (ZDF)
Erna von Gaderthurn muss die größte Lawinenkatastrophe in der Geschichte der Alpen miterleben: Die Zerstörung von Blons am 11. Januar 1954 durch die Falvkopf-Lawine.
06.01.2012
Von Tilmann P. Gangloff

"Der Atem des Himmels", 6. Januar, 22.30 Uhr im Zweiten

Die Geschichte hinter der Geschichte ist ähnlich interessant wie der Film selbst. In den Achtziger- und Neunzigerjahren war Reinhold Bilgeri gleich nach Falco einer der populärsten österreichischen Popstars. Vor einigen Jahren sorgte er auch auf ganz anderem Gebiet für Furore, als er in dem Roman "Der Atem des Himmels" die Biografie seiner Mutter mit dem großen Lawinenunglück 1954 im Großen Walsertal verband. Als sich die Möglichkeit bot, das Buch zu verfilmen, sorgte der Sänger dafür, dass alles in einer Hand blieb: Das Drehbuch schrieb er selbst, Regie führte er ebenfalls und produziert hat er den Film auch. Die Hauptrolle spielt Gattin Beatrice. Der Film war ein großer Kinoerfolg in Österreich und hätte sich im ZDF auch auf einem früheren Sendeplatz gut gemacht, denn das Heimatdrama ist überraschend facettenreich; und Hauptdarstellerin Beatrice Bilgeri mindestens ebenso ein Hingucker wie das prächtige Alpenpanorama.

Mit Anfang vierzig ein neues Leben beginnen

Die Dramaturgie nimmt das Ende vorweg: Die Geschichte beginnt mit der Katastrophe und schildert dann in Rückblende, wie es dazu kam. Zunächst aber konzentriert sich die Handlung auf die Witwe Erna von Garderthurn, deren Gatte im Krieg als Deserteur erschossen worden ist und die nun auch noch den Verlust des geliebten Vaters betrauern muss. Ihm erzählt sie fortan in Form von Briefen, wie es ihr nach seinem Tod ergangen ist: Weil es mit Anfang vierzig noch nicht zu spät ist, ein neues Leben zu beginnen, lässt Erna ihre herrische Mutter in Südtirol zurück und wird Volksschullehrerin in den Vorarlberger Alpen. Prompt wird die mondäne Zugereiste zur Attraktion des Dorfes; Männer allen Alters sind völlig aus dem Häuschen. Sie selbst hat allerdings bloß Augen für zwei. Die beiden sind ohnehin Erzfeinde und werden nun auch noch zu Nebenbuhlern: Baron von Kessel (Gerd Böckmann) ist ein Adliger mit feinen Manieren und erlesenem Geschmack, aber zweifelhafter SS-Vergangenheit. Gegenspieler Eugenio Casagrande (Jaron Löwenberg) ist Musiklehrer und kämpft seit Jahren dafür, die Berge oberhalb des Dorfes lawinensicher zu machen.

Ausgerechnet der Baron ist seiner Verantwortung als größter Gutsbesitzer nicht nachgekommen.
Über weite Strecken gehorcht die Geschichte der üblichen Dramaturgie des Heimatfilms, blendet aber im Gegensatz zu den Produktionen der Fünfzigerjahre die politische Vergangenheit nicht aus. Gerade der kritische Geist Casagrande eckt immer wieder an und muss nicht bloß gegen Borniertheit, sondern auch gegen den nach wie vor höchst lebendigen Nationalismus kämpfen. Trotzdem lässt Bilgeri nie einen Zweifel daran, wer im Mittelpunkt dieses Films steht, selbst wenn Kameramann Tomas Erhart grandiose Alpenaufnahmen gelungen sind. Das gilt auch für die Bilder der Katastrophe, wenn sich gegen Ende der Kreis wieder schließt.

Mag sein, dass die Gefühle, die Gesten und dementsprechend auch die Musik mitunter eine Nummer zu groß ausgefallen sind, aber auch das gehört zu den Gepflogenheiten des Genres. Und dass Bilgeri mit diesem Film nicht bloß seiner Mutter, sondern auch seiner Gattin ein Denkmal gesetzt hat, kann man ihm nachsehen.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).