"Bild" widerspricht dem Bundespräsidenten
Neue Fragen nach dem Interview des Bundespräsidenten: Die "Bild"-Zeitung widerspricht Wulffs Darstellung. Gelb-Schwarz atmet auf, für die Opposition ist die Sache noch nicht ausgestanden. Nicht nur im Netz hagelt es Kritik und Spott, doch Wullf will im Amt bleiben. Der Berliner Bischof Markus Dröge ruft indes zu mehr Selbstkritik auf.

Die "Bild"-Zeitung hat nach einem Bericht des Deutschlandfunks der Aussage von Bundespräsident Christian Wulff widersprochen, er habe mit seinem Anruf bei Chefredakteur Kai Diekmann eine Berichterstattung zu seiner Hausfinanzierung nicht verhindern wollen.

Der stellvertretende Chefredakteur Nikolaus Blome sagte nach Angaben des Senders am Mittwochabend im Deutschlandfunk, "den Satz von Herrn Bundespräsident Wulff, ich wollte die Berichterstattung nicht verhindern, das haben wir damals deutlich anders wahrgenommen."

Blome bezeichnete demnach die auf der Mailbox von Diekmann hinterlassene Nachricht als "große Dummheit". Blome erklärte: "Und es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden. Und wenn Sie das jetzt als Drohung bezeichnen oder auch nicht, das sei mal dahingestellt. Das ist vielleicht eine Geschmacksfrage. Aber klar war das Ziel dieses Anrufs, die Absicht und das Motiv – nämlich: Die Berichterstattung, diesen ersten Breaking-Bericht über die Finanzierung seines privaten Hauses zu unterbinden."

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele forderte angesichts der widersprüchlichen Aussagen weitere Aufklärung über die Nachricht, die Wulff bei Diekmann auf der Handy-Mailbox hinterlassen hat. "Ich will den Wortlaut haben", sagte Ströbele am Donnerstag im Deutschlandfunk. Wenn die "Bild"-Zeitung jetzt veröffentlichen würde, was Wulff gesagt hat, "da mögen die einen oder anderen Bemerkungen sein, die mit dem, was er so im Fernsehen gesagt hat, überhaupt nicht zu vereinbaren sind".

Der CDU-Politiker Peter Hintze verteidigte den Präsidenten. Im "Kernsachverhalt" würden sich die Aussagen Blomes und Wulffs decken, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium ebenfalls im Deutschlandfunk. Derzeit würden "mit der Lupe Klein- und Kleinstdifferenzen vergrößert". "Mich hat der Bundespräsident überzeugt. Er hat alle Fragen glaubwürdig beantwortet und er hatte die Stärke, zu seinen Schwächen zu stehen", sagte Hintze.

Opposition sieht Kanzlerin Merkel gefordert

In der schwarz-gelben Koalition wurde der Fernsehauftritt Wulffs mit Erleichterung aufgenommen. "Ich bin sicher, dass Christian Wulff damit erfolgreich Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen wird", erklärte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Aus der FDP hieß es, es sei gut, dass Wulff zu den Vorwürfen Stellung genommen und Fehler eingeräumt habe. "Das war ein wichtiger Schritt", sagte der designierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring.

Dagegen sehen SPD, Linke und Grüne weiteren Aufklärungsbedarf. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte Kanzlerin Angela Merkel auf, dessen Eignung für das höchste Staatsamt zu überprüfen. "Das ist keine Causa Wulff mehr, das ist eine Causa Merkel." Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Hubertus Heil sagte: "Es bleiben Fragen offen, die aufgeklärt werden müssen."

Auch die Grünen bezweifeln, dass die Kanzlerin mit der Erklärung Wulffs zufrieden sein könne. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke sagte: "Wir erwarten, dass sie dazu Stellung nimmt." Merkel hatte vor dem Interview erklären lassen, dass sie Wulffs Arbeit nach wie vor schätze. Sie vertraue auf umfassende Antworten Wulffs.

Umfrage: Hälfte der Deutschen für Wulff-Rücktritt - Wulff lehnt Rücktritt ab

Der Bundespräsident hatte ungeachtet des verheerenden Medienechos einen Rücktritt abgelehnt. Im Interview bei ARD und ZDF räumte er aber Fehler und Versäumnisse ein. So sei der Drohanruf bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann "ein schwerer Fehler" gewesen. Die "Bild"-Zeitung hatte vor drei Wochen zuerst über die Umstände des Hauskredits im Wert von einer halben Million Euro berichtet.

Der Präsident muss sich gegen Vorwürfe wehren, beim Kauf eines Eigenheimes als Ministerpräsident die genauen Umstände der Kreditaufnahme verschwiegen zu haben. Im Interview wies er den Vorwurf zurück, er informiere die Öffentlichkeit per Salami-Taktik. Wulff kündigte an, dass die Antworten seiner Anwälte auf etwa 400 Anfragen von Journalisten an diesem Donnerstag im Detail im Internet veröffentlicht würden.

Nach dem jüngsten ARD-Deutschlandtrend meinen nur noch 47 Prozent, dass Wulff im Amt bleiben kann. Damit verlor das Staatsoberhaupt seit Wochenbeginn kontinuierlich an Zustimmung: Am Montag hatten sich noch 63 Prozent der Befragten für einen Verbleib Wulffs im Amt ausgesprochen, 34 Prozent für einen Rücktritt. Am Dienstag waren es nur noch 53 Prozent, die an Wulff als Bundespräsident festhielten, 44 sprachen sich hingegen für seinen Rücktritt aus. Die letzte Befragung am Mittwoch fand allerdings noch vor der Ausstrahlung des Wulff-Interviews statt.

Dröge: Debatte um Bundespräsident ist Debatte um Gemeinwohl

Angesichts der Kredit- und Anruf-Affäre von Wulff hat der Berliner Bischof Markus Dröge zu mehr Selbstkritik aufgerufen. "Jede gesellschaftliche Gruppe muss sich fragen, ob sie wirklich dem Gemeinwohl dient oder nur dem eigenen Interesse", schreibt Dröge in einem Gastbeitrag für die Berliner Tageszeitung "B.Z." (Donnerstagsausgabe).

"Wer viel Wissen, Fähigkeiten und Macht hat, gerade der hat eine besondere Verantwortung für das Ganze", schreibt der Theologe. Mit Blick auf den Dreikönigstag am Freitag (6. Januar), an dem laut derzeitigem Terminplan der Bundespräsident Sternsinger im Schloss Bellevue empfangen will, erklärt Dröge: Der Dreikönigstag sei eine Mahnung und rufe in Erinnerung, "dass es auf das Wohl aller ankommt".

In einer modernen Gesellschaft sei das Zusammenspiel vieler Interessengruppen geregelt. "Regierung und Opposition, Parteien und Gewerkschaften, Wirtschaftsvertreter und weltanschauliche Gruppen haben ihre Aufgaben wahrzunehmen und die Anliegen ihrer Mitglieder zu vertreten." All dies könne nur gelingen, wenn die Verantwortung für das Ganze im Blick bleibe. "Dafür steht bei uns das Präsidentenamt", betont Dröge.

Rhetorikprofessor: Wulff hängt Vergehen niedrig

Wulff hat bei seinem TV-Interview nach Einschätzung des Rhetorikprofessors Joachim Knape kein Unrechtsbewusstsein gezeigt. "Ein oder zwei Fehler werden eingeräumt, aber auf die Stufe eines kleinen moralischen Versagens herabgestuft", sagte Knape der Nachrichtenagentur dpa.

Der Kommunikationsexperte vergleicht Wulffs Taktik mit derjenigen von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU): Auch dieser habe zugegeben, nicht richtig gehandelt und Fehler gemacht zu haben, einen Betrug aber nie eingeräumt.

Besonders kritisch beurteilt der Tübinger Professor für Allgemeine Rhetorik einen Vergleich des Präsidenten. "Wem es in der Küche zu heiß ist, der darf nicht Koch werden wollen", sagte Wulff am Ende des Interviews. Knape hält diese Metaphorik für unpassend. "Der Präsident als Koch in der politischen Küche? Da habe ich ein Problem mit dem Amtsverständnis." Die hier gemeinte Küche sei ein abgeschlossener Club des politischen Kaste, der Präsident hingegen solle sich als erster Bürger unter Bürgern verstehen.

Außerdem wolle Wulff damit sagen, Köche begingen keinen wirklich gravierenden Fehler. "Sie geben mal ein bisschen zu viel Salz ins Essen - aber beim nächsten Mal wird's besser." Und Wulff drücke nach Knapes Ansicht mit dem Hitze-Vergleich aus: "Ich muss mich nur mit einem kleinen Hitzeschild bewaffnen und dann kann kommen, was da will."

dpa/epd