Der Bundespräsident muss reflektieren, nicht taktieren
Bundespräsident Christian Wulff hat sich in einem Interview mit ARD und ZDF zu den Vorwürfen gegen ihn geäußert. Mit seinen ausweichenden, relativierenden Antworten hat Bundespräsident Wulff den Kern der Kritik an seinem Handeln aber nicht entkräftet.
04.01.2012
Von Hanno Terbuyken

Als im Dezember die ersten Nachrichten von der Kreditkrise des Bundespräsidenten durch das Netz geisterten, haben wir in der Redaktion schon einmal zusammengesessen und uns gefragt: Wie gehen wir damit um? Es ging um Wahrheit und Wahrhaftigkeit, um Ehrlichkeit und Demut, um Reue, Entschuldigung und Verzeihung. Recht ist nicht gleich Moral, schlussfolgerten wir damals: "Du sollst nicht lügen" reicht nicht, wenn die Ehrlichkeit nur die halbe Wahrheit ist. Ein Bundespräsident muss in der Würde seines Amtes persönliche Integrität beweisen – denn sie ist das einzige Machtmittel, das er hat.

Mit einem Interview in ARD und ZDF wollte Christian Wulff diese Integrität nun wieder herstellen, sich verteidigen gegen den Vorwurf, er habe die Pressefreiheit aushebeln wollen. Das ist ihm nicht gelungen. Seine "ja, aber"-Taktik war kein Zeugnis von Demut, sondern das Festhalten an der Macht durch einen Berufspolitiker.

Keine Antwort ohne Vorbehalt oder Relativierung

Wulff gestand ein, der Anruf bei Diekmann sei ein Fehler gewesen, der ihm leidtue. Aber zugleich relativierte er, dass er sich ja entschuldigt habe, und sich außerdem als Opfer gesehen habe. Er müsse sein Verhältnis zu den Medien "neu ordnen", aber die Medien hätten auch ihre Verantwortung, die sie unter sich ausmachen müssten.

Wulff erklärte, er habe die Berichterstattung der "Bild" nur verschieben wollen, aus Rücksicht auf seine Familie. Politiker seien auch Menschen, und Menschen machten Fehler. Das Amt des Bundespräsidenten sei ja auch schwieriger geworden in den letzten Jahren, und sein Umgang mit den Dingen habe dem Amt "sicher nicht gedient", aber er fülle es eigentlich ganz gut aus.

Wulff sagte, er habe sich hilflos gefühlt und deswegen beim "Bild"-Chefredakteur angerufen. Das sei menschlich. Er berief sich auf das Bibelwort bei Johannes 8, 7: "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie", da habe dann ja auch keiner geworfen. Und er wolle außerdem "nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann. Das will ich auch mal sagen."

Dann muss aber auch mal gesagt werden: Dem Noch-Bundespräsidenten ist keine einzige Antwort ohne Vorbehalt gelungen. Relativieren, Mitleid heischen, sich selbst in die Opferrolle stellen – das ist unpräsidial. Auf die Idee, ehrlichen Herzens vor Bürger, Medien und Volksvertretern gleich alle Karten auf den Tisch zu legen, ist Christian Wulff offenbar nicht gekommen. Seine Antworten im Interview wirkten berechnet, wie der größtmögliche Kompromiss zwischen Bedauern und Bewahren. Die Ankündigung, am kommenden Donnerstag "alle Details" im Internet veröffentlichen zu wollen, hilft da auch nichts mehr.

Reflektieren statt taktieren ist Wulff nicht gelungen

Wulffs Chance wäre gewesen, anzuknüpfen an seinen Fernsehauftritt vom 22. Dezember, wo er Einsicht und Reue zeigte und um Verzeihung bat. Damals sagte er: "Nicht alles, was rechtmäßig ist, ist richtig." Von dieser Erkenntnis hat er sich offenbar wieder verabschiedet: "Es geht nicht um Rechtsverstöße", klang Wulff trotzig und bewies, dass er den Kern des Problems offenbar nicht erkannt hat.

Denn es geht ja gar nicht um Rechtsverstöße. Es geht darum, wie er die Rolle des Bundespräsidenten ausfüllt. Der muss nicht fehlerlos sein – das geht ja gar nicht. Aber er hat die Chance, mit seinen Fehlern offen umzugehen, sie vielleicht anderen Politikern sogar als Spiegel vorzuhalten und damit seine persönliche Integrität zu untermauern. Der Bundespräsident muss reflektieren, nicht taktieren. Dann ist er mächtig. Christian Wulff ist das nicht gelungen.

Die Chance, durch Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Demut sich selbst und das Amt wieder aufzurichten, hat er verpasst. Was bleibt, ist seine eigene Zusammenfassung des ganzen Schlamassels: "Aber man muss eben als Bundespräsident die Dinge so im Griff haben, dass einem das eben nicht passiert." Das könnte auch der Schlusssatz einer Rücktrittserklärung sein.


Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de.