Nicht mal die DDR-Bürgerrechtler waren sich nach dem Mauerfall einig, ob die Hinterlassenschaft der Stasi erhalten oder vernichtet werden soll. Akten, Fotos, Tonbänder, Filme - menschenrechtswidrig hatte das Ministerium für Staatssicherheit Informationen über rund sechs Millionen Menschen zusammengespitzelt, im Osten und zum Teil auch im Westen Deutschlands. Der historisch einmalige Bestand war die Basis für ein historisch einmaliges Regelwerk: Vor rund 20 Jahren, am 29. Dezember 1991, trat das Stasi-Unterlagen-Gesetz in Kraft.
"Das Gesetz ist eine Erfolgsgeschichte - auch nach der achten Novelle", sagt der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn. "Wir können auch in Zukunft die Vergangenheit aufarbeiten." Erstmals in der Geschichte sei es gelungen, das Archiv einer Geheimpolizei zu öffnen. Die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen wurde geschaffen, erster Chef war Joachim Gauck.
"Opferakten sind ein Stück geklautes Leben", sagte die frühere Oppositionelle Ingrid Köppe von den Grünen, als im Herbst 1991 das Gesetz im Bundestag beraten wurde. Rainer Eppelmann würdigte die 40 Paragrafen als "Gesetz zum Schutz ausgeschnüffelten Lebens". Und SPD-Abgeordneter Wolfgang Thierse meinte: "Ich will verstehen, warum ein Nachbar zum Denunzianten geworden ist." Anliegen ist es bis heute, durch die Aufarbeitung der Vergangenheit zur Versöhnung zu kommen.
"Gerechtigkeit für die Opfer - gerade dafür steht das Gesetz"
"Gerechtigkeit für die Opfer - gerade dafür steht das Gesetz", sagt Jahn. So waren es vor allem Bürgerrechtler, die als erste die Akten lesen konnten, die die Stasi über sie angelegt hatte. "Die Erschütterung war groß", sagt Jahn, der als Journalist über den Beginn der Akteneinsicht am 2. Januar 1992 auch einen Film drehte. Jürgen Fuchs, Ulrike Poppe, Vera Lengsfeld, Lutz Rathenow, Wolf Biermann, Bärbel Bohley - alle seien fassungslose gewesen über das Ausmaß der Bespitzelung.
Inzwischen wurden rund 2,8 Millionen Anträge auf persönliche Akteneinsicht gestellt sowie etwa 1,7 Millionen Anträge zur Überprüfung von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes. Jahn ärgert sich aber darüber, dass Bürger noch zu lange auf die Auskünfte warten müssten. "Wir müssen das ändern." Das Interesse der Bürger ist entgegen früherer Annahmen auch mehr als 20 Jahre nach der Einheit nicht weggebrochen. Allein in diesem Jahr gingen knapp 76.000 Anträge auf persönliche Akteneinsicht bei der Jahn-Behörde ein.
Roland Jahn, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Foto: dpa
Ab Januar 2012 soll der Personenkreis im öffentlichen Dienst erweitert werden, der auf frühere Stasi-Tätigkeit überprüft werden kann. "Diese Fristverlängerung per Gesetzesänderung bis 2019, dem 30. Jahr des Mauerfalls, ist ein deutliches politisches Zeichen", sagt Jahn. Er rechne aber nicht mehr mit Überprüfungsanträgen riesigen Ausmaßes. Bundespräsident Christian Wulff hatte das geänderte Stasi-Unterlagen-Gesetz vor Weihnachten unterzeichnet, so dass es wie geplant in Kraft treten kann.
Die Behörde bekommt 2012 zusätzlich 2,3 Millionen Euro für Bildungsarbeit
Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) will ebenfalls Zeichen setzen - gegen eine "schleichende Verharmlosung". Die Bundesbehörde bekommt aus seinem Etat 2012 zusätzlich 2,3 Millionen Euro für ihre politische Bildungsarbeit. Gerade jüngere Menschen müssten erreicht werden. Es gab immer wieder Kontroversen um das Gesetz. So erstritt Alt-Kanzler Helmut Kohl in einem spektakulären Urteil, dass Papiere, die die Stasi zu seiner Person anlegte, unter Verschluss bleiben müssen. Zudem zogen immer wieder Ex-Stasi-Mitarbeiter gegen die Nennung ihrer Namen als Täter vor Gericht.
Jüngster Streitfall sind mehr als 40 frühere hauptamtliche Stasi-Leute, die noch in der Bundesbehörde bei dem einstigen Oppositionellen Jahn beschäftigt sind. Sie sollen nach mehr als 20 Jahren laut geändertem Stasi-Unterlagen-Gesetz aus der Behörde entfernt und versetzt werden. Dagegen waren rechtliche Bedenken laut geworden. Bundesbeauftragter Jahn sagt, Klagen dieser Mitarbeiter seien ihm nicht bekannt. Er habe alle Bundesministerien per Brief gebeten, Jobangebote zu schicken.
Der Berliner Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Martin Gutzeit, kritisiert etwas anderes: Bislang würden Indizien nicht beachtet, wonach es vor dem ersten Stasi-Unterlagen-Gesetz Absprachen zwischen Bundesregierung und Stasi-Generalität gegeben haben soll. Auch eine Übersicht über die von der Stasi selbst vernichteten Akten fehle, moniert Gutzeit.