Warten auf den Tag X: Räumung für S21 steht bevor
Noch herrscht in Stuttgart nachweihnachtliche Ruhe. Die Volksabstimmung mit ihrem Votum für den Weiterbau von Stuttgart 21 hat die Wogen um das 4,1 Milliarden Euro teure Bahnvorhaben zunächst geglättet. Doch in den nächsten Tagen droht der Landeshauptstadt neues Ungemach: Die Räumung des Mittleren Schlossgartens, wo sich vor gut einem Jahr mehrere Dutzend Stuttgart-21-Gegner in einem bislang geduldeten Tipidorf und einigen Baumhäusern einquartiert haben, steht unmittelbar bevor.
03.01.2012
Von Julia Giertz

Der Tag X könnte der 12. Januar sein, an dem nach einer Verfügung der Stadt alle "campingartigen Behausungen" entfernt sein müssen. Denn 176 Bäume sollen verschwinden, damit die Bauherrin Deutsche Bahn den Trog für den geplanten Tiefbahnhof ausheben kann. Zudem soll der Südflügel des bisherigen Bahnhofsgebäudes abgerissen werden. Bäume und Bonatz-Bau haben symbolische Bedeutung für die S-21-Gegner und bereits in der Vergangenheit zu Auseinandersetzungen geführt.

Im August 2010 war der Abbruch des Nordflügels von Protesten und Sitzblockaden begleitet. Zu einem Polizeieinsatz mit über hundert Verletzten kam es kurz vor den Baumfällarbeiten am 30. September 2010. Bilder von weinenden und blutenden Demonstranten wie am "Schwarzen Donnerstag" will die grün-rote Landesregierung unbedingt vermeiden, deren grüner Teil den Wahlerfolg vom März 2011 auch auf die jahrelange Gegnerschaft zu Stuttgart 21 zurückführen kann.

"Wir werden uns weiterhin in den Weg stellen"

Doch Beobachter gehen davon aus, dass sich die Camper aus Stuttgarts zentralem Park nicht so einfach verziehen werden. Denn mit ihrer Anwesenheit wollen sie gerade das Fällen der Bäume verhindern. "Wir befinden uns in Alarmstimmung. Und wir werden uns weiterhin in den Weg stellen", betont eine Sprecherin von Robin Wood.

Städtische Sozialarbeiter versuchten bisher vergeblich, obdachlosen Campbewohnern Unterkünfte anzubieten. Dass in der Landeshauptstadt kaum jemand von einer friedlichen Räumung ausgeht, zeigen 15 Container auf einem Festgelände am Neckar, in denen gewalttätige Demonstranten in Gewahrsam genommen werden können. Ein Forum mit S-21-Gegnern und Polizisten soll vor dem Tag X friedenstiftend wirken.

Obwohl mit der Volksabstimmung ein Ausstieg des Landes aus dem Projekt in weite Ferne gerückt ist, gibt es bei den Gegnern noch Hoffnungsschimmer. So appellieren einige Prominente, darunter der Schauspieler Walter Sittler, an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), nicht zuzulassen, "dass die Bahn (durch das Schaffen von Fakten) die Verhandlungsposition des Landes weiter schwächt, während Bahnchef Rüdiger Grube die Offenlegung der wahren Kosten und tatsächlichen Risiken des Tunnelprojekts Stuttgart 21 verweigert". Doch S-21-Gegner Kretschmann hat mehrfach betont, er werde das Baurecht des Konzerns durchsetzen.

BUND prüft Eilantrag gegen Baumfällung vor Gericht

Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) könnte nach einem Erfolg vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim noch Pfeile im Köcher haben. Mitte Dezember hatten die Richter festgestellt, dass das Eisenbahnbundesamt (EBA) zu Unrecht die von der Bahn geforderte Änderung der Baugenehmigung für das S-21-Grundwassermanagement abgesegnet hatte. Das EBA muss vor einer endgültigen Entscheidung noch die naturschutzrechtlichen Bedenken des BUND anhören.

"Das Fällen von Bäumen würde gegen den Geist des Urteils verstoßen", meint Berthold Frieß vom BUND. Denn in den alten Platanen leben geschützte Juchtenkäfer, Fledermäuse und Hohltauben. Seine Organisation prüfe einen Eilantrag vor Gericht gegen das Fällen. Gelänge es, den Rechtsstreit bis Ende Februar oder Anfang März hinzuziehen, würden die Naturschützer der Bahn ernsthafte Probleme bereiten: Dann beginnt die Vegetationsperiode, in der Rodungen tabu wären.

Auch die Behörden beobachten die jüngste Entwicklung mit Argusaugen. Der Stuttgarter Polizeipräsident Thomas Züfle: "Ein Einsatz zum jetzigen Zeitpunkt wäre teilweise fraglich, weil offenbar noch nicht alle Fragen zum Natur- und Artenschutz im Park geklärt sind". Noch deutlicher wird das Innenministerium: "Es kann nicht sein, dass die Polizei eine Baustelle schützt, die sich im Nachhinein als illegal erweist."

dpa