Zu wenig Aufklärung über Rechtsextremismus
Nach den Morden der Zwickauer Neonazi-Zelle wird über ein NPD-Verbot gestritten. Doch wie sieht es mit der Vorbeugung gegen Rechtsextremismus aus? Auch hier bestehen Defizite des Staates. Der Ruf nach Reformen wird lauter.
02.01.2012
Von Ursula Mommsen-Henneberger

Rechtsextreme Gruppen weiten in Deutschland seit Jahren systematisch ihre Werbung vor allem bei jungen Menschen aus. Doch die Abwehr des Staates zeigt gravierende Schwächen. Bildungsexperten und Rassismusforscher schlagen deswegen Alarm. Sie erteilen der Aufklärungsarbeit an den Schulen schlechte Noten. Zudem bemängeln sie eine unsichere Finanzierung der Initiativen gegen Rechts.

"Man muss systematisch wichtige Projekte der Prävention identifizieren und sie nachhaltig finanzieren", fordert der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Thomas Krüger. "Bund und Länder müssten stärker kooperieren und ihre Programme inhaltlich und finanziell mehr abstimmen." Auch Kommunen und Initiativen vor Ort müssten besser zusammenarbeiten.

Auch die SPD-Politikerin Eva-Maria Stange betont: "Von Jahr zu Jahr befristete Projekte reichen nicht aus. Wir brauchen stabile Strukturen." Sie weist zudem auf die Folgen hin, wenn - wie derzeit - Bund und Länder gleichzeitig kürzten. "Das macht gute Projekte kaputt und macht auch engagierte Menschen kaputt." Der Soziologe Albert Scherr schlägt eine Bundesstiftung vor, um eine stabile Förderstruktur aufzubauen.

Experten sehen großen Nachholbedarf an den Schulen

Die Experten sehen auch großen Nachholbedarf an den Schulen. "Die Kultusministerkonferenz muss das Thema dringend auf die Tagesordnung setzen", sagt Stange. Die Minister müssten überprüfen, ob in den Ländern die Lehrer ausreichend darauf vorbereitet seien, sich mit Schülern über Rechtsextremismus auseinandersetzen.

Der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke ergänzt: "Die Bildung an Schulen ist sehr stark fixiert auf das Thema Drittes Reich und Nationalsozialismus." Zu kurz kämen Kompetenzen in Sachen multikulturelle Gesellschaft und Umgang mit Fremden heute.

Lehrer seien in ihrer Ausbildung zu wenig mit dem Thema Rechtsextremismus befasst, kritisieren beide Experten und plädieren für mehr Fortbildungen. Jaschke beobachtet eine "große Hilflosigkeit der Eltern und Lehrer gegenüber den notwendigen Gegenmaßnahmen". Die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt aus diesem Grund das Projekt "Online-Beratung gegen Rechtsextremismus" als Anlaufstelle für Lehrer und Eltern, wie Krüger berichtet.

Wie sind eigentlich Lehrer in Sachen Rechtsextremismus eingestellt?

Die Schulen müssten dazu verpflichtet werden, in ihren Kernbereich mehr Menschenrechts- und antirassistische Bildung einzubauen und dies nicht an einzelne Projekte wie "Schule ohne Rassismus" zu delegieren, fordert Scherr. "Die Menschenrechte sind das normative Fundament, von dem man aus eine klare Gegenposition gegen Rechtsextremismus beziehen kann." Der Forscher gibt auch zu bedenken: "Wir wissen gar nichts über die typischen Einstellungen von Lehrkräften zu dieser Frage."

Der Marsch der Rechtsextremen in die Mitte der Gesellschaft erfolgt laut Jaschke bislang eher über Vereine wie Fußballclubs. "Hier gelingt es rechtsextremen Funktionären häufiger, als Trainer oder Betreuer von Jugendmannschaften Positionen zu erobern."

Auch nutzen diese Gruppen den Rückzug von Staat und Kommunen aus den freiwilligen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe und machen selbst Freizeit- und Hilfsangebote. "Die gesamte Finanzierung der außerschulischen Jugendarbeit ist in den vergangenen sechs Jahren um gut 20 Prozent zurückgefahren worden", sagt Scherr. "Die Stärke der rechten Szene ist die Schwäche einer demokratischen, staatlich verantworteten Jugendarbeit."

Die Extremismusklausel sorgt bei der Vergabe von Fördergeldern für Klarheit

Große Schwierigkeiten bereitet den Fachleuten zufolge auch die von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) 2010 eingeführte sogenannte Extremismusklausel. Danach müssen die Initiativen, bevor sie Fördergelder erhalten, erklären, dass sie und ihre Partner keine extremistischen Bestrebungen haben.

Dieses Ansinnen wirke wie eine staatliche Misstrauenserklärung, hieß es. Initiativen und Verbände dringen auf eine Rücknahme der Klausel. Der Bundesjugendring weist darauf hin, dass das Bekenntnis zur Verfassung der Bundesrepublik bereits 1949 in der Präambel zu seiner Satzung verankert worden sei.

dpa