Dort, wo an einem Wegkreuz die Streuobstwiesen an den Wald grenzen, erhebt sich gleich einem Tor ein schräg aufgerichtetes Kreuz aus rostigem Stahl. Darunter gestattet eine Maueröffnung den Eingang zu dem Meditationsort. Ein holprig gepflasteter Pfad führt zu einem von Kies umgebenen Glaskubus. Ein Unternehmer hat die moderne "Feldkapelle" der Öffentlichkeit geschenkt. Die Anlage bei Wiesbaden-Sonnenberg soll im nächsten Sommer eingeweiht werden.
"Leute joggen hier vorbei oder jagen einem Hund hinterher, aber es gibt keinen Ort in der Schöpfung, wo man zur Besinnung und Ruhe kommen kann", sagt Helge Riegel. Der Kaufmann und Mediziner wollte das ändern. In seiner oberfränkischen Heimat hat er Feldkapellen als etwas Selbstverständliches kennengelernt. Diese Selbstverständlichkeit, den Glauben öffentlich zu zeigen, vermisst Riegel bei Christen in der Gegenwart: "Warum verstecken wir uns?", fragt er. "Wenn wir den Erhalt der Schöpfung fordern, brauchen wir uns für den Glauben an einen Schöpfer nicht zu schämen."
Riegel beauftragte einen Architekten, eine zeitgenössische "Feldkapelle" zu bauen. Dabei ging er über die Tradition hinaus: "Menschen jeden Glaubens und jeder Überzeugung sollen sie aufsuchen können." Das schräge Kreuz am Eingang stehe für das Passionskreuz. "Das trägt jeder Mensch, unabhängig von seinem Glauben", erklärt er. Der Besucher solle es beim Betreten hinter sich lassen und frei den Glaskubus betreten, der jegliches religiöses Symbol entbehrt. Einziger Blickfang ist eine hinterleuchtete Glasnische in der Umfassungsmauer nach Osten. Ein senkrechter Streifen in Dunkelblau stehe für den Nachthimmel, einer in Rot für den Sonnenaufgang.
"Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!"
Nur ein Zitat soll neben der Tür angebracht werden: "Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten", nach dem biblischen Original Matthäus 7,12 auf Griechisch. Die Aussage sei in mehreren Religionen wichtig, betont Riegel. "Matthäus 7,12" ist auch der Name der Stiftung, die nach seinem Willen Eigentümerin des jederzeit geöffneten Meditationsortes werden soll. Die Innengestaltung des Glaskubus wird in den kommenden Monaten noch ausgeführt.
Nicht nur für die Besucher, auch für den Stifter war der Weg zu der "Feldkapelle" steinig. Nachdem der Bauantrag 2003 gestellt wurde, stellte sich die Naturschutzbehörde quer. Das Grundstück liegt in einem Landschaftsschutzgebiet. Doch Riegel gab nicht auf. Sieben Jahre später lenkte die Stadtverwaltung ein, der Grundstein durfte gelegt werden. In die Schatulle legte der Architekt Hans-Peter Gresser Erde, Öl und einen Olivenzweig vom "Berg der Seligpreisungen" am See Genezareth in Israel.
Gresser erläutert die Bedeutung des leeren Glaskubus in Anlehnung an die japanische Tuschmalerei: "Leere ist nicht charakterisiert als Nichts, sondern als etwas, was erst noch mit Inhalt gefüllt wird, eine leere Schale." Das Material Glas stelle wie eine Membrane die Verbindung zwischen dem Inneren und dem Äußeren her. "Der leere Raum fungiert als ein Gefäß, das die Gedanken der Menschen aufnimmt. Glaube ist ein Zwiegespräch des Unbegreiflichen, Mystischen, Nichtdarstellbaren mit dem Menschen."
Die Kirchen äußern sich auf die Privatinitiative zurückhaltend positiv
Die Kirchen äußern sich auf die Privatinitiative zurückhaltend positiv. Einerseits sei das Bauwerk eindrucksvoll, andererseits stelle sich die Frage nach der Verbauung der Natur, sagt der evangelische Ortspfarrer Klaus Neumann. Jedenfalls sei der Ort der Besinnung eine Bereicherung, der vielleicht für ökumenische Veranstaltungen genutzt werden könne. Auch der katholische Stadtdekan Wolfgang Rösch sieht in dem überkonfessionellen Charakter Chancen für eine ökumenische Zusammenarbeit: "Wir müssen aus dem Lagerdenken herauskommen."
Die Stadt hat nach den Worten von Gresser allerdings vorgeschrieben, dass an der "Feldkapelle" keine Veranstaltungen stattfinden dürfen, die Autofahrer und Rummel anziehen. Das komme der Absicht des Stifters entgegen: Der Ort solle der Ruhe, der Meditation und dem Gebet dienen.
Stifter Riegel berichtet von überwiegend positiven Reaktionen auf den Bau. Kritiker, die zunächst gefragt hätten: "Warum noch 'ne Kirche?", seien verstummt. Eine Spaziergängerin habe einen Brief geschickt mit dem Bekenntnis: "Durch die Kapelle bin ich nach dem Tod meines Mannes wieder zum Glauben gekommen." Der Stifter freut sich: "Es hat sich also gelohnt."