Nach zehn Jahren steht der Euro unsicherer da als je zuvor
Mit einem "Euro-Memorandums 2012" kritisieren linke Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftler zum zehnjährigen Jubiläum des Euro die Geldpolitik der europäischen Staaten. In ihrer Kritik sind sie sich einig mit einigen Volkswirten und Analysten von großen Wirtschaftsberatungen: Harte Kürzungen helfen Europas Wirtschaft nicht.
30.12.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Der Euro löste vor zehn Jahren die D-Mark als gesetzliches Zahlungsmittel ab. Angesichts des Dauerkriseln im zurückliegenden Jahr stellt sich die Frage, ob der Euro ein Fehler war? "Nein, der Euro war kein Fehler", antwortet Trevor Evans, "doch 'wie' der Euro eingeführt wurde, war ein Fehler." Wenn Europa eine gemeinsame Geldpolitik habe, aber keine gemeinsame Fiskal- und Lohnpolitik, könne das auch 2012 nicht gut gehen.

Trevor Evans ist Brite, lehrt in Berlin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) und ist einer der Autoren des "Euro-Memorandums 2012", das von 400 linken Ökonomen und Sozialwissenschaftlern aus Europa unterstützt wird. Evans kritisiert zu Sylvester die Politik der Bundesregierung hart: Ihre Analyse der Krise und damit auch ihre Alternativen seien falsch. "Diese Krise wurde nicht durch Staatsdefizite verursacht", stellt Evans fest und warnt vor Sparprogrammen und Sozialabbau. Dadurch würde in den Euro-Staaten die Konjunktur zusätzlich gefährdet. Es drohe eine schädliche Deflation. Europa, betont Evans, stehe zum Jahreswechsel wirtschaftlich und sozial "am Scheideweg".

Bisherige Gipfel-Entscheidungen beruhigten die Märkte

Unterstützung erhält der linke Ökonomen von einigen Bankanalysten. So warnt Joachim Fels, Chefvolkswirt von Morgan Stanley, vor dem verbreiteten Inflationsgerede: "Schon bald dürfte sich jedoch abzeichnen, dass die Deflationsgefahren überwiegen." Fels hält die Erwartungen einiger Forschungsinstitute einer milden Rezession für zu optimistisch. Staatsschuldenkrise und Bankenkrise verschärften die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Haushalte; Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen in den Krisenländern würden den Abschwung ebenfalls verstärken. Zudem kühle die Weltkonjunktur ab.

Auf dem letzten EU-Gipfel im Dezember hatten Bundeskanzlerin Merkel und 25 andere Regierungschefs in Brüssel vor allem schärfere Haushaltsregeln und quasi automatische Sanktionen für Defizitsünder beschlossen. Allein der englische Premierminister Cameron scherte aus, um den Sonderstatus des Finanzplatzes London zu wahren. Die Gipfel-Beschlüsse beruhigten die Akteure auf den Finanzmärkten zunächst. In der letzten Dezemberwoche musste Italien bei Versteigerungen von Staatsanleihen deutlich niedrigere Zinsen anbieten als noch im Vormonat.

Der mit britischem Akzent deutsch sprechende Evans hält solche Wasserstandsmeldungen von den Finanzmärkten für irreführend: "Der Unterschied zu Frau Merkel ist: Sie setzt alles auf Fiskaldisziplin.". Mit härteren Haushaltsregeln zielten sie und viele ihrer Amtskollegen an den eigentlichen Problemen vorbei. Die meisten europäischen Länder hätten nämlich bis zur Finanzkrise 2007/2008 nur sehr kleine oder sogar gar keine Defizite ausgewiesen. Die Steuereinnahmen deckten die Ausgaben. Erst die Rettung der großen Banken im Herbst 2008, der Zusammenbruch der Wirtschaftsleistung 2009 als Folge einer Kreditklemme und der starke Rückgang der Steuereinnahmen infolge der Wirtschaftskrise hätten dann richtig große Löcher in die Staatsetats gerissen. Trotzdem sei das Staatsdefizit im Euro-Gebiet noch niedriger als in Großbritannien und den USA.

Wachstum statt Sparkurs - und Solidarität durch Eurobonds

Das Europa der 27 "drifte stark auseinander", kritisieren Evans und seine Kollegen in ihrem 42 Seiten starken und im Internet veröffentlichten Euro-Memorandum: Während Deutschland und Frankreich das Vorkrisenniveau deutlich überschritten haben, produzieren die meisten Länder noch immer weniger als 2008. Neben Griechenland und Irland liegen die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sogar noch rund 10 Prozent im Minus. Auch bei den Einkommen liegen Euroländer und die EU-27 noch unter dem Vorkrisenwert. In Lettland verdienen die Menschen 22,9 Prozent weniger als vor der Krise, und die Arbeitslosigkeit ist in Spanien inzwischen auf über 20 Prozent hochgeschnellt.

Die mangelhafte Merkel-Analyse sei "sehr gefährlich", so Evans, weil sie zu falschen Schlussfolgerungen führe. Eine "Austeritäts-Politik" mit harten Sparprogrammen und rigidem Schuldenabbau würge Massenkonsum und gewerbliche Nachfrage ab und könne in eine tiefe Rezession münden. Gefährlich seien zudem die "Sozialabbau-Programme" in vielen Euro-Ländern. So kürzte Irland im Dezember weitere Sozialausgaben und Leistungen im Gesundheitswesen um jeweils eine halbe Milliarde Euro. Außerdem erhöhte die Regierung in Dublin die Mehrwertsteuer.

Die Alternative sei mehr Demokratie und Solidarität in Europa. Die Regierungen müssten "statt Austerität wirtschaftliches Wachstum fördern", fordern die Memo-Ökonomen im Blick auf die am 6. Januar beginnenden Verhandlungen. In Brüssel setzen dann die 26 EU-Staaten ihre Verhandlungen über den Fiskalpakt vom Dezember fort. Es bedürfe zwar einer sparsamen Haushaltspolitik, aber vor allem höherer Steuereinnahmen bei großen Einkommen und Finanzgeschäften. Eurobonds könnten schwächere Länder von zu hohen Zinsen entlasten und helfen, deren Wirtschaft wiederzubeleben. Eine Form der "Solidarität", die auch der Altkanzler und bekennende Christ Helmut Schmidt von starken Euroländern wie Deutschland anmahnt.


Hermannus Pfeiffer ist freier Autor für Wirtschaftsthemen in Hamburg.