Gedanken zur Woche: Taizé und das Vertrauen
In den "Gedanken zur Woche", gesendet im Deutschlandfunk am Morgen des 30. Dezember 2011, blickt Pfarrer Jörg Machel auf das Taizé-Jugendtreffen in Berlin. "Wege des Vertrauens" heißt das Motto. Was tragen die Jugendlichen davon in die Welt, und passt das in die deutsche Hauptstadt?
30.12.2011
Von Pfarrer Jörg Machel

"Wege des Vertrauens" – steht auf Plakaten in der Berliner U-Bahn. Darunter sitzen viele freundlich dreinschauende Menschen. Sie sind auf dem Weg zum Europäischen Jugendtreffen der Gemeinschaft von Taizé in den Berliner Messehallen. Dort erwartet sie Johannes, er gehört zum Vorbereitungsteam und knüpft nun schon seit Wochen die Kontakte zu Berliner Kirchengemeinden, damit dieses internationale Treffen lokale Wurzeln schlägt. Die persönlichen Begegnungen sollen im Zentrum stehen – so wie sonst ja auch in Taizé.

Viele Tausend Jugendliche aus der ganzen Welt fahren Jahr für Jahr in dieses kleine französische Dorf, um auszuprobieren, was Christsein für sie persönlich bedeutet, um sich mit anderen Jugendlichen auszutauschen und ihren ganz eigenen Weg ins Leben zu finden. So jedenfalls hat es mir Johannes beschrieben, der für über ein Jahr in dieser Kommunität lebte.

Taizé ist harmonischer als das normale Berlin

Dieser Tage fanden wir im Gemeindebriefkasten einen Schlüssel mit dem Hinweis, dass wir fünf Gäste zur angegebenen Adresse schicken können. Ein paar Hinweise für den Gebrauch der Wohnung lägen dort auf dem Küchentisch. Die Gastgeberin sei noch im Weihnachtsurlaub und werde erst nach den Gästen eintreffen. Besser kann man das Motto "Wege des Vertrauens" nicht umsetzen. Und darum geht es im Grunde bei allen Veranstaltungen, zu denen die christliche Gemeinschaft von Taizé diesmal nach Berlin eingeladen hat: Menschen miteinander zu verbinden, gemeinsame Erfahrungen zu ermöglichen, sich auszutauschen, so dass junge Menschen aus Riga, aus Madrid, aus Warschau und aus vielen Orten Europas einander kennen lernen.

Berlin ist eine sehr säkulare Stadt. "Wege des Vertrauens" klingt manchen zu harmonisch und sie zucken ratlos mit den Schultern: Viele fröhliche junge Leute in der U-Bahn, die miteinander zu Andacht und Gebet unterwegs sind, Gitarren und Schlafsäcke dabei haben – und das im schnoddrigen Berlin.

Was hat Taizé mit Berlin zu tun? Kann aus dieser Kombination etwas Interessantes entstehen? Es kann! Wer genau hinschaut auf dieses Treffen von Jugendlichen, die nun bis Neujahr aus allen Teilen Europas zu uns gekommen sind, kann durchaus sehen, wie sich das Motto mit Leben füllt. Ein wichtiger Impuls von Taizé ist ein Lob auf das einfache Leben. Immer wieder hat Johannes in Taizé erlebt, dass gerade die einfachen Lebensbedingungen die Menschen zusammenbringen.

Vertrauen wächst durch Begegnungen

Eine Woche im Sechsbettzimmer lässt die Jugendlichen bei der Ankunft zusammenschrecken – doch gerade diese Nähe führt am Ende zu rührenden Abschiedsszenen. Eigentlich, finden die jungen Leute, ist es gar nicht so schwer, zusammen zu kommen und zusammen zu halten. Die großen Diskussionen in Politik und Wirtschaft um ein starkes Kerneuropa und den schwächelnden Rest klingen für sie und aus der Perspektive von Taizé wie eine Gotteslästerung.

"Wir bewohnen einen Planeten, den wir gemeinsam zu bewirtschaften haben, ohne Menschen auszugrenzen", meint Johannes. So ist es für ihn und manche anderen Besucherinnen und Besucher des Berliner Treffens nur konsequent, dass sich eine größere Gruppe von ihnen heute Vormittag zu einer Mahnwache vor der Abschiebehaft in Berlin-Köpenick treffen wird. Dort sind Menschen inhaftiert, deren einziges Vergehen es ist, in unserem Land leben zu wollen.

Wege des Vertrauens finden – das ist eine große Herausforderung in einer Welt, die sich vor allem durch ihre Ängste leiten lässt. Die Taizé-Jugendlichen dagegen erleben hautnah: Vertrauen wächst durch Begegnungen. Das große Fest der Jugend ist in vollem Gange. 30.000 Menschen sind auf dem Berliner Messegelände versammelt, 20.000 kommen als Gäste aus allen Teilen Europas. Anders als manche Expertenrunde, in der zurzeit über Europas Zukunft geschachert wird, als wäre es nichts anderes als eine Geschäftsidee, beweisen sie, dass Vertrauen funktionieren kann - über alle Grenzen hinweg.


Jörg Machel ist Pfarrer in der Emmaus-Ölberg-Gemeinde in Berlin.