"Der Chinese", 30. Dezember, 20:15 Uhr im Ersten
Für Mankell-Leser ist das nichts Neues, aber der gewöhnliche Fernsehzuschauer muss sich auf was gefasst machen. Irgendwann verliert man den Überblick, aber letztlich werden es an die dreißig Personen sein, die in dieser Verfilmung des gleichnamigen Romans von Henning Mankell ums Leben kommen. Die meisten tragen den Namen Andrèn, und so dauert es nicht lange, bis der schwedischen Richterin Brigitta Roslin (geborene Andrèn) klar wird: Irgendjemand hat es darauf abgesehen, ihre gesamte Familie auszulöschen. Als sie feststellt, dass der Mörder ein gedungener chinesischer Killer ist, hat sie nur eine Chance: Sie muss den Auftraggeber finden, bevor es seinem Schergen gelingt, auch sie zu ermorden.
Der Roman des großen Schweden ist weit über 600 Seiten dick. Entsprechend groß war die Herausforderung, das Buch zu adaptieren; selbst wenn der Film, für den Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer die Vorlage adaptiert haben, 180 Minuten lang ist. Gerade die Kombination der grundverschiedenen Zeitebenen und Kulturen ist Vater und Tochter brillant gelungen. Die immer wieder eingewobene Vorgeschichte der Handlung trägt sich Mitte des 19. Jahrhunderts im fernen Amerika zu; die erste Hälfte des Films spielt in Schweden, die zweite in China.
Die Spuren führen in die Vergangenheit und nach China
Zentrale Figur ist die von Suzanne von Borsody mit einer reizvollen Mischung aus Verletzlichkeit und Härte verkörperte Richterin. Brigitta Roslin ist ohnehin mental angeschlagen, seit sich ihr Mann (Michael Nykvist) von ihr trennen will, als sie die furchtbare Nachricht erfährt: Fast alle Bewohner ihres Heimatdorfes sind bei einem Massaker niedergemetzelt worden. Da die Menschen ausnahmslos mit einem Schwert erschlagen worden sind, kann man sich ausmalen, wie blutig die Tatorte aussehen. Roslin ist überzeugt, dass die zuständige Kommissarin (Claudia Michelsen) in die völlig falsche Richtung ermittelt. Für die Polizistin ist einer der wenigen Überlebenden (Peter Benedict), ein einschlägig vorbestrafter Gewalttäter, der Mörder. Roslins Recherchen ergeben zwei Hinweise. Die erste Spur führt sie in die Vergangenheit: Ein entfernter Vorfahre (Roeland Wiesnekker) hat beim Bau der amerikanischen Eisenbahn seinen ganzen Sadismus an den chinesischen Arbeitern ausgelassen. Dem zweiten Hinweis kann die Richterin nachgehen: In der chinesischen Millionenstadt Kanton hofft sie, den Drahtzieher zu finden, muss aber feststellen, dass höchste Kreise ihre schützende Hand über den Mann halten.
Die zweite Hälfte des Films fasziniert vor allem durch die Konfrontation der Hauptfigur mit einer gänzlich anderen Kultur. Optisch wirkt Kanton wie eine westliche Metropole, doch hier herrschen andere Gesetze. Leider wird dieses Gefühl der völligen Fremdheit durch die in den Werken der Degeto übliche sprachliche Nivellierung zunichte gemacht. Ganz gleich, ob in Schweden, Amerika oder China: Alle reden deutsch. Umso blödsinniger mutet es an, wenn plötzlich niemand mehr die Schwedin versteht, obwohl kurz zuvor selbst die Kinder problemlos mit ihr kommunizieren konnten. Trotzdem ist "Der Chinese" selbst über die Dauer von drei Stunden ein fesselnder, von Regisseur Peter Keglevic und seinem nicht minder renommierten Kameramann Alexander Fischerkoesen mit großem Sinn für eine Ästhetik erzählter Film, in dem die Farbe rot nicht allen wegen des vielen Bluts eine ganz besondere Rolle spielt.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).