Experten: Der Kirche gehen die Organisten aus
Um Weihnachten herum ist die Blütezeit der Kirchenkonzerte. So auch dieses Jahr: Orgelspiel, Chöre, Streicherensemble, Flötenkreise überall. Ob das auf lange Sicht so bleiben wird, ist allerdings unsicher. Die evangelische Kirchenmusik sieht sich auch im Jahr "Reformation und Musik 2012" einem immensen Spardruck ausgesetzt. Viele Kantoren müssen mit geringem Lohn zurechtkommen. Und der Nachwuchs an Kirchenmusikern bleibt weitgehend aus.
29.12.2011
Von Renate Kortheuer-Schüring und Yvonne Jennerjahn

Rund 1.950 Stellen für hauptamtliche Kirchenmusiker gibt es derzeit in der evangelischen Kirche. "Tendenz rückläufig", wie der Präsident des Verbands der evangelischen Kirchenmusiker, Christoph Bogon, anmerkt. Die Kirchenmusikszene in Deutschland, die europaweit ohne Beispiel ist, hat sich seit den 90er Jahren zurückentwickelt. Eine genaue Statistik fehlt zwar, doch wird im Internet-Lexikon Wikipedia für 1994 noch die Schätzzahl von etwa 2.300 hauptberuflichen Kantoren genannt.

Viele der Kirchenmusiker, die ein Vollstudium absolviert haben, verdienen Bogon zufolge kaum genug zum Leben. Entweder wurden sie im Laufe der Zeit tariflich niedriger eingestuft, oder der Umfang der Stellen wurde reduziert. Ein "B-Musiker" - vergleichbar dem Bachelor - verdient zwischen 1.800 und 3.000 Euro brutto, wenn er voll arbeitet. "Auf einer halben Stelle wird es da prekär", sagt Bogon.

Studierendenzahl bei Kirchenmusik ist "katastrophal"

Zwar betont die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), mancherorts sei das Gehalt angehoben worden. Doch schwankt das Salär je nach Landeskirche erheblich: Eher schlechter geht es Musikern in den östlichen Kirchen und Nordrhein-Westfalen, eher besser in Hannover, Württemberg und Bayern. Von einer adäquaten Bezahlung sei man jedoch weit entfernt, findet Verbandschef Bogon.

Dass das Berufsbild sich so eingetrübt hat, blieb nicht ohne Folgen: Den Kirchen droht ein erhebliches Nachwuchsproblem bei den Kantoren. "Schon heute gibt es einen leichten Bewerbermangel", sagt Christoph Bogon. "Landeskirchen, die schlecht zahlen, kriegen das bei Stellenbesetzungen zu spüren.

In fünf bis zehn Jahren, wenn viele Stellen frei werden, wird der Mangel noch erheblich größer sein. Denn immer weniger junge Menschen entscheiden sich für ein Kirchenmusik-Studium. Die zurückgehende Zahl der Studenten sei "katastrophal", sagt der Vorsitzende der Konferenz der Landeskirchenmusikdirektoren, Kord Michaelis. Derzeit gebe es 356 Studenten, 2006 seien es noch 403 gewesen, Anfang der 90er Jahre mehr als 500.

Dem Singen mehr Bedeutung einräumen

Landeskantoren und Verband werben daher um Nachwuchs. Kinder und Jugendliche für Kirchenmusik zu begeistern, hält Bogon für eine wesentliche Aufgabe. Zum anderen aber müssten auch die Arbeitsbedingungen für Kirchenmusiker attraktiver gestaltet werden, darunter die Bezahlung, fordern Bogon und Michaelis unisono. Hauptamtliche Kirchenmusiker in größeren Städten müssten heute "Leistungskanonen" sein, die der Konkurrenz von Oper und Theater standhalten können, sagt Michaelis. Und als solche müssten sie auch angemessen bezahlt werden.

Das Amt des Kirchenmusikers müsse genauso attraktiv wie der Pfarrberuf werden, damit sich "motivierte und gute junge Leute für diesen Beruf interessieren", fordert der Vorsitzende der Ständigen Konferenz für Kirchenmusik in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gunter Kennel. Dazu gehöre auch eine Ausbildung, die dazu führt, dass Kirchenmusiker "ihre Musik nicht nur fachlich gut, sondern auch theologisch verantwortet präsentieren".

Derzeit werde nur in wenigen Landeskirchen versucht, die Arbeit attraktiver zu gestalten, kritisiert Kennel, der auch Landeskirchenmusikdirektor in Berlin ist. Positiv sei, dass zum Teil die Ausbildung nebenamtlicher Kirchenmusiker verbessert werde und dem Singen "auch in den Kindergärten, Schulen und Horten" wieder mehr Bedeutung eingeräumt werde. Erwogen werde zudem, ein Referendariat für Kirchenmusiker einzuführen, in dem "vor allem die praktisch-theologische, pädagogische und kommunikative Seite des Berufsbildes verstärkt in den Blick genommen" werden soll.

EKD-Förderung für die Musikerausbildung könnte wegfallen

Die hessen-nassauische Landeskantorin Christa Kirschbaum appelliert an Jugendliche: "Studiert Kirchenmusik, ihr werdet Chancen haben! Selbst wenn weiter gespart wird, werden wir nicht alle Stellen wiederbesetzen können." Für sie ist der Kantor immer noch einer der attraktivsten Musikberufe - wegen der "großen künstlerischen Freiheit" und des im Vergleich zur Schulmusik höheren Niveaus.

Doch eine Hürde droht nun auch quasi hausintern: Die Kirchenmusiker fürchten, dass die sechs kircheneigenen Ausbildungsinstitute in Herford, Halle, Dresden, Heidelberg, Tübingen und Bayreuth in ihrem Bestand gefährdet sein könnten. In Tübingen (vormals Reutlingen) wurde die Zahl der Ausbildungsplätze bereits in den vergangenen Jahren von 30 auf etwa 18 zurückgefahren. "Gefährlich" wird es laut Michaelis, wenn die EKD-Förderung für fünf der sechs Institute in zwei Jahren wegfallen sollte. Das könnte dazu führen, dass die Landeskirchen sich aus dieser Finanzierung ebenfalls zurückziehen.

"Wenn die EKD Kirchenmusik haben möchte, müssen wir auch Ausbildungsplätze anbieten", argumentiert Michaelis. Denn Kirchenmusik-Studienangebote staatlicher Hochschulen seien keineswegs auf Dauer sicher.

Das EKD-Kirchenamt gibt sich indes optimistischer. "Ich gehe davon aus, dass die EKD-Förderung für kirchliche Musik-Hochschulen nicht wegfällt. Wenn sie gestrichen würde, dann hätten die Hochschulen ein Riesenproblem," sagt der zuständige Referent Stephan Goldschmidt. Allerdings müsse man über eine Reduzierung reden, "und auch kritisch auf die Ausbildungskriterien gucken".

epd