Haben Sie noch alte D-Mark-Münzen oder -Scheine zu Hause?
Peter Bofinger: Nein, ich sehe auch keinen Grund für eine D-Mark-Nostalgie. Der Euro ist eine gute Währung für Europa und ich finde, wir sollten alles tun, dass er auch die Währung für Europa bleibt.
Was wäre an einem Zurück zur D-Mark denn so schlimm?
Bofinger: Das wäre eine große Katastrophe - schon allein der Zerfall dieser Währungsunion wäre äußerst gefährlich, weil die europäischen Banken so eng miteinander verflochten sind, dass die Wiedereinführung nationaler Währungen erhebliche Risiken mit sich bringen würde. Das würde für deutsche Banken, Versicherungen und Unternehmen enorme Risiken bergen, weil eine neue nationale Währung enorm aufgewertet würde. Für ein Exportland wie Deutschland wäre eine Aufwertung auch wegen der Auswirkungen auf den Export eine einzige Katastrophe!
Aber es gibt ja noch Exportnationen mit eigener Währung…
Bofinger: ...und die waren in den vergangenen zehn Jahren nicht gerade sehr erfolgreich - nehmen sie Japan, die sind sehr fleißig und exportorientiert. Die haben trotzdem die höchste Staatsverschuldung von allen Industrieländern, auch weil der Yen seit 1992 so aufgewertet wurde und das Land an den Rand der Deflation gebracht hat. Die Forderung "Zurück zur D-Mark", das ist ein bisschen nach dem Motto "Oh wie schön ist Panama", da haben wir Deutschen unser Häuschen und sitzen dort ohne die Italiener und die Griechen: Das ist naiv, vor allem für ein exportorientiertes Land wie unseres.
"Geld hat
für viele Menschen
die Religion abgelöst"
Der Euro war in Deutschland nie sonderlich beliebt, weshalb?
Bofinger: Die D-Mark war das Symbol des Nachkriegserfolges. Wir Deutsche haben nicht so besonders viel, auf das wir stolz sein können, da war unsere erfolgreiche Währung ganz willkommen. Sie ist ein Symbol für den Wiederaufstieg Deutschlands, und dieses Symbol hat man den Leuten weggenommen. Das ist in etwa so, als würden sie Christen das Kreuz wegnehmen und sagen, der Halbmond ist doch auch okay...
Aber Glaube ist doch nicht mit einer Währung vergleichbar.
Bofinger: Das hören die Kirchen sicher nicht gerne, und ich finde es auch persönlich nicht gut, aber für viele Menschen ist Geld der höchste Wert. Kurzum: Geld hat für viele Menschen die Religion abgelöst, sie sehen in ihrem Vermögen eine Art eigene Unsterblichkeit. Deshalb verlaufen auch die Debatten um unsere Gemeinschaftswährung so emotional.
Die Märkte treiben nicht erst seit der aktuellen Krise die Politik vor sich her - wann hat das angefangen und wann hört das wieder auf?
Bofinger: Wenn es nach den Vorstellungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) läuft, wird dieses Primat der Märkte künftig noch größer. Den in Not geratenen Ländern soll möglichst wenig geholfen werden, und man will sie somit noch mehr dem Druck der Märke aussetzen. Die Politik schaufelt sich ihr eigenes Grab - die Bundesregierung handelt ganz nach dem Motto: Geld kann die Welt am besten regieren. Leider.
Woher kommt die Krise? Sind die Staaten schuld, oder die Märkte?
Bofinger: Vor allem sind es die Märkte, die im vergangenen Jahrzehnt versagt haben, indem sie etwa riesige Summen in Immobilienprojekten in Spanien oder Irland versenkt haben. Die Staaten mussten daraufhin die kollabierenden Märkte mit Unsummen retten - dadurch ist überall die Staatsverschuldung gestiegen und hat die Verschuldungsprobleme, die nun Auslöser für die aktuelle Krise sind, in manchen Staaten ausgelöst. Und nun sollen die Märkte, die von den Staaten gerettet werden mussten, zum eigentlichen Herrscher Europas werden.
Bild links: Der Ökonom und Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Foto: epd-bild/Daniel Peter
Was halten Sie von der Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer, die ja auch von kirchlicher Seite erhoben wurde?
Bofinger: Ich meine, dass man sich nicht zu viel davon versprechen darf. Grundsätzlich bin ich davon überzeugt - anders als viele marktkritisch eingestellte Wirtschaftswissenschaftler - dass die Börsen mit dieser Krise nicht allzu viel zu tun haben. Auch mit einer Finanztransaktionssteuer hätten wir 95 Prozent des jetzigen Krisenausmaßes erlebt. Das war und ist größtenteils eine klassische Kredit- und Hypothekenkrise, dabei ging es gar nicht so sehr um spekulative Transaktionen auf den Finanzmärkten. Eine Finanztransaktionssteuer kann sicher keine Krisen verhindern, sie ist aber eine interessante zusätzliche Einnahmequelle.
Was bringt uns das kommende Jahr wirtschaftlich aus ihrer Sicht?
Bofinger: 2012 wird sicher ein schwieriges Jahr, für ganz Europa, für Deutschland und natürlich auch für den Euro-Raum. Ich gehe davon aus, dass wir in eine Rezession geraten werden, momentan gibt es nur wenig Anlass zu einem optimistischen Ausblick.
Was heißt das für den Normalverdiener und Sparer?
Bofinger: Es gibt zunächst einmal überhaupt keinen Grund, sich vor Inflation zu fürchten. Ich sehe uns eher vor einer deflationären Entwicklung. Die Gehälter in Deutschland werden im Schnitt real stagnieren oder kaum steigen. Den Arbeitsmarkt in Gänze wird diese Entwicklung zunächst nicht erfassen, aber im zweiten Halbjahr könnte es mitunter auch Kurzarbeit geben.
"Minijobs schaffen
einen Anreiz,
Vollzeitstellen aufzusplitten"
Sie sind - anders als viele ihrer Kollegen - für den Mindestlohn...
Bofinger: ...weil es nicht sein kann, dass jemand den ganzen Tag arbeiten geht und am Ende des Monats nicht davon leben kann. Arbeit muss sich lohnen und dafür ist der Mindestlohn eine Grundvoraussetzung. Man kann auch unter ordnungspolitischen Gründen für den Mindestlohn argumentieren: Wettbewerb soll in der Marktwirtschaft dadurch stattfinden, dass man kundenfreundlicher, produktiver oder innovativer als der Mitbewerber ist - und nicht dadurch, dass man die Mitarbeiter weniger Hemmungen hat, den Lohn der Mitarbeiter zu drücken.
Deshalb sind sie auch gegen Minijobs?
Bofinger: Ich habe grundsätzlich nichts gegen Teilzeitarbeit, aber die Begünstigung durch Minijobs ist problematisch. Warum sollen diese Verdienste steuerfrei sein? Es gibt keinen Grund, warum eine Zahnarztgattin bei einem befreundeten Galeristen bis zu 400 Euro pro Monat steuerfrei verdienen soll. Da man dadurch auch Sozialabgaben sparen kann, schaffen Minijobs einen Anreiz, Vollzeitstellen - gerade im Bereich der Geringqualifizierten - in mehrere Minijobs aufzusplitten. Das macht es für Menschen mit einer geringeren Qualifikation sehr schwer, einen regulären Arbeitsplatz zu finden.
Auch die christlichen Kirchen melden sich in dieser Krise zunehmend zu Wort. Was sagt der Experte dazu, ist das eine gute Idee?
Bofinger: Ja, weil es bei den Fragen der Krise ja auch um Fragen geht, die das Zusammenleben und die Würde der Menschen betreffen. Ich sehe genau hier das Hauptproblem unserer aktuellen Politik, die uns nämlich in eine Richtung bringt, wo wir zunehmend von den Märkten beherrscht werden. Hier sind mahnende Worte der Kirchen, um die Sorgen und Ängste der Menschen zu artikulieren, richtig und wichtig. Klar ist aber auch, dass die Hauptaufgabe der Kirchen eine andere sein sollte: Sie sind weit mehr als nur sozialpolitische Institutionen.