TV-Tipp des Tages: "Jorinde und Joringel" (ARD)
Zum vierten Mal zeigt die ARD auf beeindruckende Weise, wie man uralte Geschichten moderat modernisieren und sogar ironisch brechen kann, ohne dabei ihren wesentlichen Kern zu beschädigen. Die Vielschichtigkeit ist im Gegenteil Garantie dafür, dass die Verfilmungen Alt und Jung gleichermaßen ansprechen. Auftakt der Märchenstaffel bildet "Jorinde und Joringel", gefolgt von "Aschenputtel".
23.12.2011
Von Tilmann P. Gangloff

14 Uhr: "Jorinde und Joringel", 15 Uhr: "Aschenputtel", 25. Dezember im Ersten

Der Auftaktfilm der diesjährigen Märchenstaffel, "Jorinde und Joringel", erzählt die komplexeste Geschichte der vier Grimm-Verfilmungen. Der Handlungskern, die Romanze zwischen dem Titelpaar, mag übersichtlich sein, doch die Herausforderungen, die Held und Heldin bis zur Hochzeit überstehen müssen, sind höchst vielfältig.

Junge Frauen verschwinden im Märchenwald

Hinzu kommt eine zweite Ebene, auf der die Liebe grundsätzlich in Frage gestellt wird: Weil Jorindes Vater seiner Tochter verbietet, den Knecht Joringel (Jonas Nay) zu heiraten, fliehen die beiden in einen verzauberten Wald, in dem immer wieder junge Frauen verschwinden. Auch Jorinde (Llewellyn Reichman) ereilt dieses Schicksal. Eine Zauberin (Katja Flint) will die Mädchen davor bewahren, dass sie von der Liebe enttäuscht werden, und verwandelt sie in Vögel. Joringel ist bereit, sein leben zu riskieren, um seine Geliebte zu retten.

Das Drehbuch (Olaf Winkler, Nicolas Jacob) erzählt die Geschichte des Liebespaars als gelungene Kombination aus Romanze und Komödie. Regisseur Bodo Fürneisen führt gerade die jungen Darsteller zu einer sicheren Leistung. Katja Flint versieht die Zauberin mit gerade so viel Trauerflor, dass sie einem als tragische Figur fast leid tut.

Aschenputtels fröhliche Respektlosigkeit

Das im Anschluss erzählte Märchen vom Aschenputtel erzählt die Geschichte der mutigen jungen Frau, die sich allen Bosheiten zum Trotz nicht unterkriegen lässt, konsequent in der Tradition der Brüder Grimm: Die Figuren sind nicht ironisch gebrochen, sondern im Gegenteil zugespitzt. Barbara Auer ist mit ihrer Verkörperung der Stiefmutter als abgrundtief böser Frau eine klassische Umsetzung kindlicher Fantasien: Die Dame ist durch und durch negativ und hat nicht einen Funken Anstand im Leib. Ihre Tochter (Pheline Roggen) steht ihr in nichts nach.

Da fällt es Aschenputtel natürlich leicht, zur Sympathieträgerin zu werden. Aylin Tezel wirkt wie die kleine Schwester von Sibel Kekilli und spielt das Mädchen als forschen Wildfang, der sich auch von dem schmucken Fremden (Florian Bartholomäi) im Wald nichts gefallen lässt. Dass sich der junge Mann später als Prinz Viktor entpuppt, den sein Vater, der König (Harald Krassnitzer), endlich verheiraten will, imponiert ihr zwar, ändert aber nichts an ihrer fröhlichen Respektlosigkeit (Buch: David Ungureit, Regie: Uwe Janson).

Bei allem Respekt vor der Tradition: Am schönsten sind trotzdem die beiden Begegnungen des späteren Liebespaars im Wald, als Aschenputtel dank diverser Missgeschicke beim ersten Mal über und über mit Matsch bedeckt und beim zweiten Dank einer Mehldusche weiß wie Schnee ist. Morgen Nachmittag zeigt das "Erste" noch "Die Sterntaler" und "Die zertanzten Schuhe", den schönsten Film der diesjährigen Staffel. Höchst sehenswert ist an beiden Tagen auch die jeweils im Anschluss an die Märchen ausgestrahlte Verfilmung des Klassikers "Nils Holgersson und die Wildgänse".


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).