SOS-Kinderdorf in Bethlehem: Mehr als eine Herberge
Der Stern von Bethlehem leuchtet zurzeit über dem Verwaltungsgebäude des SOS-Kinderdorfes. 120 Kinder leben hier, sie kommen aus armen Familien. Weihnachten aber wird ein Fest - auch für die muslimischen Kinder.
22.12.2011
Von Susanne Knaul

Said (Name geändert) wirkt jung für seine 13 Jahre. Schüchtern schiebt er die Hände in die Taschen seines Sweatshirts, die Kapuze über beide Ohren gezogen. "Klar freue ich mich auf Weihnachten", sagt er dann. "Es wird Geschenke geben und ein Fest."

Said ist eins von 120 Kindern im SOS-Kinderdorf in Bethlehem, der Bibel zufolge Jesu Geburtsstadt. Keines von ihnen ist Christ. Bethlehem liegt im Westjordanland, hier finden palästinensische Kinder Aufnahme, die meist muslimisch sind. Doch gefeiert wird an Weihnachten trotzdem. Dann gehen alle zusammen in ein Restaurant und warten dort auf den Weihnachtsmann. Es soll Musik geben und Tanz. Eine lokale Bank hat das Fest gesponsert.

An der Auffahrt hängen Lichterketten an den Palmen, und über dem Eingang zum Verwaltungsgebäude des Kinderdorfs leuchtet nachts der weihnachtliche Stern. Geschmückte Bäume, Stoffnikoläuse und Kerzen überall. "Wir feiern hier alle Feste", sagt Mitarbeiterin Nariman Mickel. Während der islamischen Feiertage und im Fastenmonat Ramadan herrsche eine ganz andere Atmosphäre.

"Bildung steht ganz oben auf der Prioritätenliste"

Die Kinder im Bethlehemer Kinderdorf wohnen verteilt auf 14 Häuser. Dazu kommen je zwei Jugendhäuser für heranwachsende Mädchen und Jungen ab 14 Jahren. Die Kinder werden bis zum Abschluss ihrer Berufsausbildung oder ihres Studiums betreut. "Für uns steht eine gute Bildung ganz oben auf der Prioritätenliste", sagt Mickel.

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Für Said heißt es im nächsten Sommer Abschied nehmen von seiner Kinderdorf-Familie. Dann ist er alt genug, um in eins der Jugendhäuser umzuziehen. Er wird trotzdem in Kontakt bleiben mit seiner Kinderdorf-Mutter und den Geschwistern und an den Wochenenden zu Besuch kommen.

Die Kinder wohnen nach Geschlechtern getrennt jeweils zu dritt in einem Zimmer. Bei Mutter Iman läuft geräuschvoll die Waschmaschine. Das Haus ist erfüllt von den Düften aus ihrer Küche. Es herrscht strikte Ordnung. Schuhe und Kleidung, Schulsachen und Spiele sind in den Schränken verstaut. Imans acht Zöglinge sitzen vor dem Fernseher, bis das Essen bereit ist. Sie kocht Mahshi, eine Art Eintopf mit Zucchini, Reis und Hackfleisch in Joghurtsoße.

SOS-Kinderdorf Bethlehem bietet palästinensischen Kindern ein neues Zuhause

Im Kinderdorf steht jedes Haus für eine Familie. Die Hausmutter wird zu der "Mutter" der Kinder, und die anderen Kinder zu ihren Schwestern und Brüdern - obschon die biologischen Eltern zumeist noch am Leben sind. Nur an Feiertagen und über die Sommerferien fahren die Jungen und Mädchen in ihre Heimatdörfer.

Die meisten kommen ins Kinderdorf, weil das Sozialamt aufmerksam geworden ist: wegen finanzieller Probleme, manchmal auch wegen Gefängnishaft oder Tod eines Elternteils. Die israelische Besatzung erleichtere die Situation nicht gerade, sagt Mickel, "trotzdem hätten die meisten Familien dieselben Probleme vermutlich auch ohne Besatzung".

Said verlor Vater und Mutter, als er noch ein Kleinkind war. Die Sozialarbeiter fanden ihn bei seinen Großeltern in einem Dorf, in dem bis heute keine Autos fahren. "Als er kam, wusste er nicht, was ein Stift ist", erinnert sich Mickel. Zwei Privatlehrer nahmen sich des damals sieben Jahre alten Jungen an, unterrichteten ihn in Arabisch, Englisch und Französisch. "Heute ist er Klassenbester."

"Das gesamte Dorf ist wie eine Großfamilie"

Vor gut 40 Jahren öffnete das SOS-Kinderdorf die Tore. Abdallah Kamhawi gehörte zur ersten Generation. Er war gerade sechs Monate alt, als er ins Kinderdorf kam. "Manchmal tut es mir leid, dass ich nicht heute Kind bin", lächelt Kamhawi, der inzwischen stellvertretender Direktor ist. Das Dorf sei offener geworden, und auch zwischen den Häusern finde heute ein größeres Miteinander statt. "Das gesamte Dorf ist wie eine Großfamilie".

Zum Kinderdorf gehört ein Projekt zur Stärkung sozial problematischer Familien, von dem rund 2.000 Kinder profitieren. Sie bleiben im Haus ihrer Eltern. "In 90 Prozent dieser Fälle ist Armut der Grund für die Probleme", sagt Kamhawi. Die Familien bekommen Hilfen für Nahrung und Kleidung, doch das Augenmerk gilt der Förderung der Eltern zur finanziellen Unabhängigkeit. Sie werden geschult, können Kredite für ein eigenes Geschäft bekommen.

"Ich hatte eine glückliche Kindheit", erinnert sich Kamhawi. "Ich war wie jedes andere Kind. Ich lebte mit meiner Familie in meinem Haus." Kurz nachdem er 13 wurde, war seine Welt plötzlich nicht mehr in Ordnung. Damals starb seine Kinderdorf-Mutter. Einen Ersatz lehnten die Geschwister geschlossen ab. "Eine Mutter kann man nicht austauschen", sagt Kamhawi. Er und seine Kinderdorf-Geschwister halten noch heute zusammen. Der Kontakt ist eng, sagt Kamhawi.

epd