Journalisten und Greenpeace & Co: Auf der Seite der Guten
NGOs (Non-Government Organization) bieten fertige Beiträge, wissenschaftliche Studien, organisierte Recherche-Reisen – und sie gelten als die Stimme der Zivilgesellschaft. Das macht sie für Journalisten zu einer nützlichen Quelle – aber auch zu einer gefährlichen, denn in Zeiten sparsamer Verlegerentscheidungen scheint Nachrecherche überflüssig und Distanz ein Luxus. Über Rollenkonflikte bei der Recherche.
20.12.2011
Von Miriam Bunjes

Die Beiträge sind angefeatured, haben knackige Expertenzitate, beziehen sich auf wissenschaftliche Studien oder liefern Messergebnisse aus weit entfernten Ländern. Es gibt Radio-O-Töne, Videosequenzen, eine Fotogalerie – gemacht größtenteils von Journalisten, die jetzt für die mit rund 566.000 Förder-Mitgliedern größte Umweltorganisation Greenpeace arbeiten. Für Journalisten, die in journalistischen Medien zu dem Thema berichten wollen, an dem die Umweltschützer gerade arbeiten.

Die einen recherchieren, die anderen machen Öffentlichkeitsarbeit – aber die Schnittflächen sind faserig, immer mehr Studiengänge bilden gleich für beides aus, die Arbeitsprofile ähneln sich schließlich. Ziele auch? "Unterstützen Sie Greenpeace durch die Veröffentlichung eines unserer Anzeigenmotive", heißt es im Greenpeace-Pressebereich. "Durch den kostenlosen Abdruck unterstützen Sie die Ziele von Greenpeace: Sie helfen Umweltzerstörungen zu verhindern, Verhaltensweisen zu ändern und Lösungen durchzusetzen. Geben wir der Erde eine Stimme."

NGOs gelten als unabhängig

Wir? Die Allianz aus Journalisten und NGOs, die der Werbetext beschwört, ist weit mehr als der Wunschtraum einer Anzeige. "NGOs bekommen von Journalisten einen gewaltigen Vertrauensbonus", sagt Jeffrey Wimmer, Professor für Kommunikationswissenschaften an der TU Ilmenau. "Der gesamte zivilgesellschaftliche Sektor wird von Journalisten immer höher bewertet und die Nichtregierungsorganisation gilt als deren Stimme."

Unabhängig und somit vertrauenswürdiger als die öffentlichen Stellen – so würden sie immer stärker von den Journalisten gesehen. "Das trifft ja auch oft zu", sagt Wimmer. "Es birgt aber die Gefahr, sich vereinnahmen zu lassen – und dann zum Beispiel Missstände innerhalb der Organisationen selbst nicht zu erkennen." Oder die andere Seite einer Geschichte nicht mehr zu sehen und auch nicht zu Wort kommen zu lassen. Schließlich sind die NGOs ja die Guten.

"Studien über Journalisten zeigen, dass Journalisten eher mit linkeren Einstellungen sympathisieren und somit viele Ideen der NGO-Aktivisten teilen: Eine kritische Einstellung gegenüber Atomenergie, die Wichtigkeit von Umweltschutz und Menschenrechten zum Beispiel", sagt Wimmer. "Das macht Objektivität noch schwerer."

Medien sind nachtragend

Allerdings: "Das Vertrauen der Medien verliert man als NGO ganz schnell", sagt Volker Gassner, Pressechef von Greenpeace in Deutschland. "Machen wir einen Fehler, gelten wir für lange Zeit in allen Bereichen als unseriös." Wie bei der Brent Spar – der Shell-Ölplattform, die der Konzern 1995 in der Nordsee versenken wollte und es nach den öffentlichkeitswirksamen Besetzungen von Greenpeace nicht tat. Im nachhinein stellte sich die Greenpeace-Zahl über die Ölrückstände im Tank als viel zu hoch heraus. "Die Zahl war für unsere Kampagne nicht zentral und wir haben sie schnell zurückgezogen. Der Fehler verfolgt uns dennoch bis heute und wird es noch lange tun. Da war doch was falsch bei Greenpeace – das ist hängengeblieben", sagt Gassner.

"Wir wollen und dürfen keine Fehler machen", sagt auch Martin Rücker von der Verbraucherorganisation Foodwatch. "Deshalb prüfen wir alle unsere Recherchen mehrfach nach, bevor wir sie herausgeben – ein Fehler würde auch in anderen Fällen die Frage provozieren, wie glaubwürdig unsere Recherchen sind." Denn: "Ohne Öffentlichkeit haben wir als NGO keinen Einfluss", sagt Rücker. "Medien bringen die Themen, die wir für wichtig halten in die Öffentlichkeit und so werden sie bekannt."

Recherche gehört zum Handwerkszeug

Wie man das macht, hat Rücker von der Pike auf gelernt: Bevor er 2009 zu Foodwatch ging, arbeitete er als Journalist für Nachrichtenagenturen und Tageszeitungen. "Die Arbeitsweisen ähneln sich stark", sagt Rücker. "Wir recherchieren für die NGO genauso und können dabei oft tiefer gehen als die Journalisten: Um den Weg des Tiermehls aufzudecken, reisen wir zum Beispiel auch nach Malaysia und haben uns dafür so viel Zeit genommen wie wir brauchten."

Und vor kurzem bezahlte foodwatch ein halbes Jahr lang den Tagesspiegel-Redakteur Harald Schumann, damit er den Report "Die Hungermacher" über Rohstoffspekulationen recherchiert und schreibt. "Die Recherche war natürlich ergebnisoffen: Wir bezahlen niemanden, damit er vorgefasste Thesen aufschreibt." Investigativer Journalismus also? Ja und nein, findet Rücker. "Man geht weiter als im Journalismus. Man deckt einen Missstand auf und organisiert dann eine Kampagne, um ihn zu beseitigen."

Pro Tag erscheinen fünf Beträge über Foodwatch-Themen, hat die Organisation erhoben. "Wir übernehmen ja auch einen Teil der Arbeit der Journalisten", sagt Rücker. "Wir veröffentlichen unabhängige Recherche und können Themen mit unserem Sachwissen auch einschätzen." Das sei in vielen Fällen für Journalisten schwierig. "Im Nahrungsmittelbereich gibt es ein kompliziertes politisches und rechtliches Geflecht, die meisten Redaktionen sind aber personell zu dünn besetzt, um zu allen Themen Sachkompetenz zu haben", sagt Rücker. "Wir sind Spezialisten für unseren Themenbereich und springen dafür ein."

Der kritische  Blick ist gewollt

Allerdings: Die Sachkompetenz, die Kompetenz der jeweiligen NGO einzuschätzen, fehlt somit auch. "Wir wollen keinen unkritischen Journalismus", sagt Volker Gassner von Greenpeace. "Ich bin immer unzufrieden, wenn einfach von uns abgeschrieben wird." Ein nachrecherchierter Beitrag über ein Greenpeace-Thema sei ein "Glaubwürdigkeits-Filter" für die NGO, sagt Gassner. "Die Bevölkerung weiß dann, dass sie sich auf unsere Angaben verlassen kann."

Auch von foodwatch werden Inhalte oft einfach übernommen. "Umso größer ist unsere Verantwortung, dass alles stimmt", sagt Martin Rücker. "Da wird schon mal geschrieben: ,laut foodwatch steht das und das auf dem Etikett oder der Geschäftsführer XY sagt laut Foodwatch`- ohne, dass da selber nachgeschaut wird." Schade, findet Rücker das. "Genau so finden nämlich auch bewusst lancierte Falschinformationen von Unternehmern oder Politikern ungefiltert den Weg in die Öffentlichkeit."

Und so eben die Botschaften der NGOs. "Man darf als Journalist nie vergessen, dass eine NGO immer eine Agenda hat", sagt Kommunikationswissenschaftler Wimmer. "Sie haben Ziele, für die sie die von ihnen gesammelten Spendengelder oder Mitgliedsbeiträge einsetzen – und von diesen Zielen leben sie auch." Er wünscht sich deshalb mehr klassische Wirtschaftsberichterstattung über NGOs. "Es sind ja zum Teil sehr große Institutionen mit gewaltigen Budgets."

NGOs und Journalisten haben unterschiedliche Ziele

Über Spendenskandale, wie den von Unicef 2007, würde berichtet. Ebenso wie über Spenden-Transparenz zur Weihnachtszeit. "Kontinuierlich ist das aber nicht", sagt Wimmer. "NGOs werden gar nicht als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen, sondern fast ausschließlich als gesellschaftlicher Akteur." Dort setzen sie vor allem in der Auslandsberichterstattung Akzente. Wimmer findet das problematisch.

Denn: Weil sich immer weniger Verlage Auslandskorrespondenten leisten können und die wenigen ganze Kontinente abdecken müssen, stützen sich Journalisten vor allem auf die NGOs vor Ort. Die organisieren Journalistenreisen, bei denen sie die Ansprechpartner schon versammelt haben – praktisch für die zeitknappen Korrespondenten. "NGOs arbeiten aber natürlich vor allem in Katastrophengebieten, weil das ihre selbst gegebene Aufgabe ist", sagt Wimmer. "Wird nur von dort berichtet, entsteht zum Beispiel vom Kontinent Afrika ein stereotypes Bild von Krieg und Hunger – das vielerorts gar nicht der Realität entspricht." Und die Realität in ihren Facetten abzubilden, sei schließlich die journalistische Aufgabe – und nicht nur die Brennpunkte aufzuzeigen. "Da gibt es Zieldifferenzen zwischen NGOs und Journalisten, die oft gar nicht mehr gesehen werden."

Recherchereisen organisiert auch Greenpeace. "Die Journalisten zahlen aber selbst", sagt Gassner. Nach Tschernobyl ging es in diesem Jahr – die Reise war im 25. Jahr nach dem Atomunfall sehr begehrt. Der Greenpeace-Pressechef trifft sich regelmäßig mit Chefredakteuren von Nachrichtenagenturen, Print- und Rundfunkredaktionen. "Wir wollen wissen, was die Journalisten von uns brauchen, damit wir gut zusammenarbeiten", sagt Gassner. Manchmal entscheidet die Art der Bilder oder ob man die original Rohdaten an die Agentur geschickt hat, ob das Thema erscheint oder nicht. "Daran kann man sich ja anpassen", sagt Gassner.

NGOs sind zu oft noch "letzte Stimme"

Überbewertet werden NGOs von den Medien nicht, findet Frauke Distelroth, Pressesprecherin von attac. "Die Mainstream-Medien stützen sich noch immer zu stark auf Parteipolitiker und Behörden und als letzte Stimme, hinten im Beitrag, sagt jemand von einer NGO etwas – als Stellvertreter für die Zivilgesellschaft." Das entspreche nicht der Relevanz von NGOs in der Gesellschaft und sei auch deshalb problematisch, weil eine einzelne NGO ja immer nur für ihren Themenbereich spreche.

"Es bessert sich gerade etwas", sagt die gelernte Journalistin. "Immerhin werden nach Demonstrationen meist auch unsere Teilnehmerzahlen genannt – vor einigen Jahren waren es fast immer nur die der Polizei und die wichen oft stark von unseren ab." Attac gilt als Medienphänomen unter den NGOs. "Wir sind sehr präsent in den Medien", sagt Distelrath. "Finanzmarktkritik ist aber auch das zentrale Thema zurzeit. Deshalb: Es darf gerne noch mehr sein."
 


Miriam Bunjes arbeitet als freie Medienjournalistin.