Am Ende dieses Jahres gibt es in Deutschland Paare, die warten. Vermutlich sind es mehrere Hundert. Sie wünschen sich sehnlichst ein Kind oder vielleicht ein zweites, gesundes Kind. Sie hoffen, dass 2012 endlich Zentren für Präimplantationsdiagnostik (PID) eingerichtet und Ethikkommissionen berufen werden. Erst dann können Paare mit bestimmten Risikofaktoren nach einer künstlichen Befruchtung Embryos auf genetische Abweichungen untersuchen lassen.
Die PID war das bioethische Top-Thema in diesem Jahr. Im Bundestag wurden jenseits der Fraktionsgrenzen drei Gesetzentwürfe erarbeitet. An der erregten Debatte nahmen alle teil: Ärzte, Kirchen, der Deutsche Ethikrat, Behindertenverbände, Bundes- und Landesminister. Am 7. Juli fiel im Bundestag die Entscheidung. 326 Abgeordnete entschieden sich für eine begrenzte Zulassung der PID. Für ein komplettes Verbot votierten 228 Parlamentarier.
Der SPD-Bioethikexperte René Röspel ist heute noch erstaunt, wie schnell sich viele Abgeordnete auf eine Position festlegten. Er verzeichnet eine zunehmende Oberflächlichkeit bei ethischen Themen. Die Fragen nach der technischen Machbarkeit und dem Nutzen träten in den Vordergrund. "Die Werteverankerung hat im Bundestag ebenso abgenommen wie in der Gesellschaft", sagt Röspel.
PID ist weiterhin verboten, in Ausnahmefällen jedoch zulässig
Nach dem beschlossenen Gesetz ist die PID weiterhin verboten, allerdings in Ausnahmefällen zulässig. Das ist der Fall, wenn die Nachkommen eines Paares "eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit" haben oder eine genetische Schädigung beziehungsweise eine Abweichung in den Chromosomen dazu führen würde, dass die Schwangerschaft mit einer Fehl- oder Totgeburt endet.
Eine Rechtsverordnung, die derzeit im Bundesgesundheitsministerium erarbeitet wird, soll die Einrichtung lizensierter Zentren und die Einberufung von Ethikkommissionen regeln, die das Gesetz vorschreibt. Die katholische Kirche, die für ein komplettes PID-Verbot eintritt, will in den Ethikkommissionen nicht mitmachen. Von Seiten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gibt es hingegen keine Bedenken, sich zu beteiligen. Der Rat der EKD hatte im Februar eine Stellungnahme zu PID veröffentlicht, in der auch eine begrenzte Zulassung der PID für vertretbar erachtet wurde.
Die FDP-Abgeordnete Ulrike Flach, die bei der PID mit dem von ihr initiierten Gesetzentwurf erfolgreich war, will sich im kommenden Jahr an ein weiteres umstrittenes Thema wagen: ein Fortpflanzungsmedizingesetz. Flachs Vorschläge sind weitreichend: Samenspenden von Toten sollen ebenso erlaubt werden wie die Leihmutterschaft. Auch nicht verheiratete Paare und homosexuelle Lebenspartner sollen Zugang zur künstlichen Befruchtung erhalten. Die Dreierregel, nach der maximal drei Eizellen künstlich befruchtet werden, soll aufgehoben werden.
Beim Fortpflanzungsmedizingesetz wird die Koalition wohl nicht auf einen Nenner kommen
Sie mache den Vorstoß einzig in ihrer Funktion als Abgeordnete. "In der Koalition selbst glaube ich nicht, dass wir insbesondere mit den Kollegen von der CSU auf einen gemeinsamen Nenner kommen", sagte Flach der Berliner "Tageszeitung". Derzeit führt sie noch Gespräche mit Abgeordneten anderer Fraktionen. Sich zu Einzelheiten zu äußern, sei verfrüht, so die FDP-Politikerin.
SPD-Experte Röspel schätzt die Erfolgsaussichten der FDP-Kollegin als gering ein. Die Forderungen seien sehr weitgehend und würden bei den Konservativen kaum Zustimmung finden. Zudem hat die FDP in der Koalition nur noch wenig Einfluss.
Es gibt auch ein paar praktische Gründe, die Flachs Initiative stoppen könnten. Zunächst wollen die Gesundheitspolitiker, die auch noch mit der Pflegereform befasst sind, jenseits der Fraktionsgrenzen eine neue Regelung zu Organspenden finden. Nach solchen aufwendigen interfraktionellen Beratungen stellt sich meist eine allgemeine Ermattung ein.