Walter Sittler: "Ich bin kein Revolutionär"
Er ist im deutschen Fernsehen der Sympathieträger vom Dienst: Mit seinem lässigen Charme zieht Walter Sittler vor allem das weibliche Publikum regelmäßig auf seine Seite. Der smarte TV-Star wurde mit den Erfolgsserien "Girl friends" und "Nikola" bekannt. Walter Sittler über Wutbürger, sein Engagement gegen Stuttgart 21, seine Rolle als ZDF-Kommissar in Schweden und warum er trotz allem nicht auswandern will.
15.12.2011
Die Fragen stellte Cornelia Wystrichowski

Herr Sittler, Sie sind so etwas wie das Gesicht der Protestbewegung gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Wie finden Sie eigentlich den Begriff "Wutbürger"?

Walter Sittler: Der "Wutbürger" ist ein politischer Begriff, der benutzt wird, um die Menschen zu diffamieren, in eine emotionale Ecke zu stellen, da muss man sie dann nicht mehr ernst nehmen. Das ist natürlich unsinnig und schade. Aber in diesem Kontext sind so viele Sachen schade, dass es darauf auch nicht mehr ankommt.

In den Medien kamen Sie teilweise gar nicht gut weg, wurden als garstig und renitent bezeichnet...

Sittler: Ja, aber das sagt mehr über die Leute aus, die so über mich reden, weniger über mich als Person oder Schauspieler. Wir bewegen uns zum Teil rückwärts in Richtung Obrigkeitsstaat: Der brave Bürger ist derjenige, der den Mund hält und das tut, was oben gesagt wird. Wer einfach nur nachdenkt und nachfragt, wird als garstig, renitent oder noch Schlimmeres bezeichnet. Unabhängiges Denken und unabhängiger Journalismus haben zurzeit keine gute Konjunktur.

"Ich bin kein Revolutionär,

sondern ein normaler Bürger,

der eins und eins zusammenzählt"

 

Haben Sie keine Angst, dass Ihre Reputation als Sympathieträger vom Dienst im Fernsehen leidet?

Sittler: Es ist schon möglich, dass ich die eine oder andere Rolle nicht mehr angeboten bekomme, aber das hält mich nicht ab. Ich würde es jederzeit wieder genauso machen. Ich bin kein Revolutionär, sondern ein normaler Bürger, der eins und eins zusammenzählt. Und wenn da plötzlich minus 0,5 rauskommt, dann erlaube ich mir das zu sagen. Dabei kämpfe ich nicht gegen Personen, sondern gegen meiner Ansicht nach falsche Entscheidungen. Und so wichtig ist dieser regionale Konflikt dann auch wieder nicht. Für das nächste Jahr sind auch schon wieder zwei Folgen von "Der Kommissar und das Meer" fürs ZDF bestellt. Die Verantwortlichen dort können das sehr gut trennen.

Also zwei weitere Episoden der Reihe mit der ehemaligen Pippi-Langstrumpf-Darstellerin Inger Nilsson. Wieso stand Schweden früher eigentlich für Pippi oder Michel aus Lönneberga und ist heute bevorzugter Handlungsort grausiger Krimis?

Sittler: Wenn man sich Pippi Langstrumpf mit Verstand anschaut, ist das so heil auch wieder nicht. Die ist richtig unverschämt, die Kleine, die bricht alle Konventionen – wenn auch auf eine freundliche Weise und witzig. Oder nehmen Sie Ingmar Bergman mit seinen schwierigen Themen, düsterer geht es ja nicht. Die Düsternis gab es bei den Schweden schon immer, das ergibt sich auch aus dieser Einsamkeit, dieser unendlichen Weite, der Dunkelheit im Winter, der Kälte. Bis vor 150 Jahren war Schweden fast ein reiner Agrarstaat, dadurch ein ziemlich armes Land, und das Leben der Schweden damals war sehr hart. Das prägt natürlich auch die Literatur, die Musik und das Theater bis heute.

Und was fasziniert die deutschen Leser und Fernsehzuschauer so an den enorm populären Skandinavienkrimis?

Sittler: Einerseits liegt es sicher daran, dass die Krimis so anders sind als die deutschen – ich will nicht sagen besser oder schlechter, aber zum Teil erschreckender. Vieles kommt unerwartet, plötzlich. In deutschen Krimis weiß man meistens schon bald, wer der Böse ist, bei den Schweden ist das nicht so leicht. Die unterscheiden nicht so klar, wer der Böse und wer der Gute ist, es ist weniger schwarz-weiß. Und der Kommissar in Schweden ist nicht nur cool und kinderlos und hat keine Frau, sondern alles ist sehr viel verwobener, das Normale und Abgründige scheinbar näher beieinander.

"Ich gehe doch nicht wegen

einer Baustelle weg aus Stuttgart"

 

Vielleicht leben Sie ja selber bald in Schweden? Sie sollen ans Auswandern gedacht haben, als die Sache mit Stuttgart 21 eskalierte.

Sittler: Das war nur Spaß. Irgendjemand sagte mal, dass Auswandern ja auch eine Alternative wäre, und da habe ich geantwortet, dass das schon etwas Verlockendes hätte. Aber ich gehe doch nicht wegen einer Baustelle weg aus Stuttgart.

Kann es eigentlich sein, dass Sie zuletzt seltener im Fernsehen zu sehen waren? Hatten Sie etwa wegen Ihres großen Engagements weniger Zeit für Dreharbeiten?

Sittler: Ich habe in der Tat weniger neue Filme gedreht – aber nicht wegen meines Engagements oder fehlender Angebote, sondern weil ich mehr Theater gespielt habe, was für mich wichtig und notwendig war und ist. Deshalb mache ich zurzeit zwei oder drei Filme pro Jahr statt fünf oder sechs. Allerdings wird seit einiger Zeit sehr viel wiederholt, sodass man mich schon oft findet, wenn jemand etwas mit mir sehen möchte.

Und wenn das Angebot käme, "Tatort"-Kommissar zu werden?

Sittler: Wenn ich gefragt würde, dann würde ich mir das gut überlegen, so ein schönes Angebot kommt ja nicht alle Tage. Vorstellen könnte ich es mir, auch weil das ein Format ist, das sehr gut eingeführt ist. Allerdings bin ich ja auch nicht mehr 22, und zum Beispiel Richy Müller und Felix Klare in Stuttgart machen das sehr gut – und in Hamburg haben sie mit Til Schweiger einen Neuen, der wieder eine ganz andere Farbe hineinbringen wird. Außerdem bin ich recht glücklich mit meinem Kommissar auf Gotland, das ist was Besonderes.


Der mit seiner Familie in Stuttgart lebende Schauspieler Walter Sittler engagierte sich vehement beim Bürgerprotest gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21". Doch nun kehrt der 59-Jährige zu seinem gewohnten Leisten zurück: Das ZDF zeigt zwei neue Folgen der Krimireihe "Der Kommissar und das Meer" (Donnerstag, 15. Dezember, 20.15 Uhr, ZDF), in der Walter Sittler einen schwedischen Ermittler auf der Ferieninsel Gotland spielt.