Wahlbetrug aufdecken mit Open Data
Russische Blogger werten offizielle Statistiken aus und finden starke Hinweise auf Wahlbetrug. Im Fokus ihrer Analysen stand die Wahlbeteiligung. Anomalien zeigten sich vor allem bei der Regierungspartei. Außerdem sammeln zvilgesellschaftliche Projekte Hinweise und Augenzeugenberichte, um den Wahlbetrug in Russland aufzudecken.
14.12.2011
Von Christiane Schulzki-Haddouti

Wie viele Stimmen eine Partei in einem Wahllokal erhielt, das lässt sich dank zahlreicher offizieller Websites nachvollziehen, die über die Website der Zentralen Wahlkommission verlinkt sind. So lassen sich die "angeblichen" Wahlfälschungen mit statistischen Methoden untersuchen und belegen. Russische Blogger und Statistikexperten haben die Zahlen heruntergeladen und analysiert – und ihre Ergebnisse zeigen einige ungewöhnliche Abweichungen, die auf Wahlbetrug hinweisen.

Die Wahlbeteiligung bringt den Beweis

Einige zentrale Ergebnisse präsentiert Antonni Kolenko, ein Exilrusse in Finnland,in seinem englischsprachigen Blog. Im Fokus der Analyse steht die Wahlbeteiligung in den einzelnen Wahlkreisen. Sie sollte eigentlich eine Gauß'sche Normalverteilung zeigen, doch tatsächlich sieht sie anders aus (s. Grafik links): Den Höhepunkt zeigt sie bei 55 Prozent, doch anstatt langsam gegen Null zu sinken, zeigt sie hohe Ausschläge bei einer Wahlbeteiligung zwischen 97 und 100 Prozent.

Dass die Anomalitäten sich vor allem auf eine Partei, nämlich auf die Regierungspartei "Einiges Russland" konzentrieren, zeigt eine weitere Auswertung von Moskauer Wahlkommissionen. Auf der Y-Achse findet sich die Zahl der Wahllokale, auf der X-Achse wird die Wahlbeteiligung für die einzelnen Parteien angezeigt. Bei allen, außer der Regierungspartei, nähert sich die Kurve der erwarteten Normalverteilung an, wobei die Spitzen auf das spätere Wahlergebnis hinweisen.

Allein der braune Graph der Regierungspartei zeigt nach einem ersten Gipfel von 25 Prozent zahlreiche weitere Ausschläge nach oben (s. Grafik links). Nach einer weiteren Spitze von 55 Prozent gehen die einzelnen Spitzen langsam zurück. Für Antonni Kolenko weist dies darauf hin, dass das tatsächliche Wahlergebnis bei 25 Prozent liegen könnte und das durch Wahlfälschung zu erzielende bei 55 Prozent.

Wie die Wahlbeteiligung sich in Bezug auf die Regierungspartei und die Kommunistische Partei für das gesamte Land aufteilt, zeigten Analytiker des Blogs "Samarcand Analytics". Auch hier konnte die Regierungspartei eine außerordentlich hohe Wahlbeteiligung erzielen (s. Grafik unten). Auffallend ist dabei vor allem die hohe Zahl von über 7.000 Wahllokalen, die eine Wahlbeteiligung von 97 Prozent und höher aufweisen. Erklären lässt sich das mit Augenzeugenberichten, die schildern, wie Leiter von Wahllokalen selbst massenhaft Wahlzettel ausfüllen.

Oder auch damit, dass die Regierungspartei vor allem in Krisenregionen wie Inguschetien und Tschetschenien, die unabhängigen Wahlbeobachtern kaum zugänglich sind, 91 beziehungsweise 99 Prozent der Stimmen erzielen konnte.

"Open Data" spielte auch während der kenianischen Wahlen 2007 eine große Rolle. Die kenianische Rechtsanwältin Ory Okolloh startete damals einen Wahlbeobachtungsblog, aus dem später die Entwicklung der Software Ushahidi hervorging. Ushahidi heißt auf Swahili "Zeuge". Jeder Bürger kann mit seinem Handy Informationen auf die Plattform einspeisen. Die Daten werden dann in verschiedene Kategorien wie etwa "Vertrauenswürdige Berichte" oder "Gefahrenzone" eingeordnet. So kann ein minutiöser Überblick über die Entwicklung behalten werden – und unter Umständen auch schnell Hilfe organisiert werden.

Im Internet vernetzen sich die Informationen

Das Technology for Transpareny Network dokumentiert weltweit, wie neue Technologien von Bürgern eingesetzt werden, um mehr Transparenz zu erzwingen. Für Russland finden sichgleich fünf Projekte, darunter Demokrator.ru, ein Projekt, das Bürgeranfragen und Petitionen sowie deren Antworten darauf dokumentiert, sowie Golos.org, das sich als Wahlbeobachtungplattform sieht. Golos pflegt jetzt eine Karte, für die wie bei Ushahidi Meldungen über Wahlmanipulationen gesammelt und angezeigt werden. Auch hier werden die Meldungen in verschiedene Kategorien einsortiert – etwa in "Verletzungen von Kandidatenrechten", "Behördendruck auf Wähler" oder "Wählerbestechung".

Deutlich wird aus der globalen Perspektive, wie sich zivilgesellschaftliche Akteure über das Internet vernetzen, um die jeweils effektivsten Methoden zu übernehmen. "Open Data" ist dabei das Mittel, mit dem nicht nur Beobachtungen und Analysen durchgeführt werden können, sondern auch neue Werkzeuge entwickelt werden können, die die Willkür staatlicher Behörden durch mehr Transparenz einschränken.


Christiane Schulzki-Haddouti lebt und arbeitet als freie Journalistin in Bonn.