Da staunte die Gemeinde nicht schlecht. Noch vor kurzem gab es mitten in Deutschland evangelische Pfarrer, die während der Christvesper kurzerhand zur Säge griffen und den Weihnachtsbaum kleinmachten. Heidnische Bräuche hätten beim Geburtsfest Jesu nichts zu suchen, so die Argumentation der fundamentalistischen Geistlichen. Der festliche Baumfrevel, keineswegs ein Einzelfall, wirft die Frage auf: Wie christlich ist eigentlich das Weihnachtsfest? Wie sehr ist es von Symbolen und Motiven durchsetzt, die mit dem Glauben gar nichts zu tun haben?
"Christ, der Retter ist da", heißt es in einem bekannten Weihnachtslied. Das Erscheinen des ersehnten Messias in der Welt ist für die Gläubigen seit jeher Grund zur Freude. Gefeiert wurde Jesu Geburt allerdings nicht von Anfang an. Den Urchristen war das genaue Datum schlicht unbekannt – das ist es bis heute. In den Evangelien gibt es nicht einmal Hinweise auf die mögliche Jahreszeit. Der Begründer der christlichen Chronologie, Julius Africanus, nannte im 3. Jahrhundert die Frühlings-Tagundnachtgleiche, den 25. März, als Termin für Jesu Empfängnis – das ergibt den 25. Dezember als Geburtstag.
Mithraskult und römische Saturnalien
Als Feiertag ist dieser erstmals im Jahr 336 in Rom belegt. Das Fest hatte aber heidnische Hintergründe: Erst kurz zuvor war in der Ewigen Stadt zur Wintersonnenwende der Kult des "Sol invictus" eingeführt worden, am gleichen Tag wurde auch der Geburt der römischen Mithras-Gottheit gedacht. Auch ein Zusammenhang mit den Saturnalien, traditionell in der zweiten Dezemberhälfte begangen, ist denkbar. Die Christen übernahmen diese Vorbilder – Wissenschaftler sprechen hier von Inkulturation – und feierten fortan die Geburt Jesu, der am dunkelsten Tag des Jahres als Licht in die Welt tritt.
Auch die Germanen und andere Völker feierten zur Wintersonnenwende große Feste. Als sie christianisiert wurden, verband sich die Erleichterung über das Ende der dunklen Tage mit der Freude über Jesu Geburt. Das skandinavische Julfest verweist noch heute begrifflich auf die Wurzeln. Das Wort Weihnachten, mittelhochdeutsch "ze wihen nahten", tauchte erst 1170 auf, es stammte wohl von der "nox sancta" (heilige Nacht) aus den Gebeten der lateinischen Christmette. Aber auch ein Zusammenhang mit den heidnischen "Rauhnächten" vom 25. Dezember bis 6. Januar ist denkbar.
Das Schmücken eines Baums zur Wintersonnenwende war schon im römischen Mithraskult verbreitet. Der Weihnachtsbaum setzte sich während der Reformationszeit durch. Da Tannen in Mitteleuropa über viele Jahrhunderte selten waren, konnten nur Reiche sich diesen Brauch leisten – breite Schichten der Bevölkerung halfen sich durch Zweige. Die Kirche wehrte sich lange Zeit gegen das Plündern der Wälder in der Weihnachtszeit und richtete scharfe Angriffe gegen diesen "heidnischen" Brauch. Erst viel später kamen die Bäume auch in die Gotteshäuser.
Wichern erfand den Adventskranz
Während sich Krippenspiele bereits im 11. Jahrhundert einbürgerten, ist der Adventskranz verhältnismäßig jung: Der Hamburger Pfarrer Johann Hinrich Wichern erfand ihn im Jahr 1839. Der Kranz hat mit den vier Kerzen, die auf die Adventssonntage verweisen, immerhin noch deutlich christlichere Züge als das vor Weihnachten verbreitete Wichteln. Dabei handelt es sich um einen heidnischen Brauch, der auf die nordische Sagengestalt des Wichtelmännchens zurückgeht.
Das einzige, was der Wichtel mit Weihnachten zu tun hat, sind die Geschenke. Sie machen heute einen guten Teil von Stress und Konsumterror in der Adventszeit aus. Den Brauch eingeführt hatte Martin Luther - um vom traditionellen Beschenken am Nikolaustag und dem damit verbundenen Heiligenkult wegzukommen. So entstand auch das "Christkind" als Gabenbringer. In der katholischen Kirche hielt sich hingegen bis zum 19. Jahrhundert der Nikolaus als Gabenbringer.
Der Bischof mit dem roten Gewand wird heutzutage zunehmend durch den Weihnachtsmann bedroht, der eine Erfindung des 20. Jahrhunderts ist. Hartnäckig hält sich die Ansicht, Werbestrategen von Coca-Cola hätten sich die Figur erdacht. Der Weihnachtsmann stößt aber zunehmend auf Vorbehalte. Viele kirchliche Kampagnen versuchen seit einigen Jahren, die eigentlichen Inhalte des Festes wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Auch wenn man dafür nicht gerade Weihnachtsbäume zersägen muss.
Dieser Text lief erstmals am 13. November 2011 auf evangelisch.de.