Pakistaner bekennen sich zu Anschlägen in Afghanistan
Erstmals bekennen sich pakistanische Terroristen zu einem schweren Anschlag in Afghanistan mit Dutzenden Toten. Der instabilen Region drohen unabsehbare Folgen. Bislang blieben in Afghanistan Anschläge aus religiösen Motiven eher die Ausnahme. Noch am Montag war in Bonn in Abwesenheit Pakistans über die Zukunft am Hindukusch verhandelt worden.

Einer der schwersten Anschläge in Afghanistan hat womöglich eine weit größere Dimension: Eine pakistanische Terrororganisation bekannte sich zu dem Selbstmordattentat auf schiitische Gläubige in Kabul mit fast 60 Toten. Das sagte ein Sprecher der Organisation Lashkar e-Jhangvi al-Alami am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa im pakistanischen Peshawar. Ein Attentäter hatte sich zuvor während des schiitischen Aschura-Festes in Kabul in die Luft gesprengt. Auch zu einem zweiten Anschlag in Masar-i-Scharif mit vier Toten bekannte sich die pakistanische Organisation. Ihr werden Kontakte zu Al-Kaida und den Taliban nachgesagt.

Die sunnitische Terrorgruppe Lashkar e-Jhangvi al-Alami wurde in der Vergangenheit für Dutzende Anschläge auf Schiiten in Pakistan verantwortlich gemacht. Übergriffe auf das Nachbarland Afghanistan waren bislang nicht bekannt.

BBC: Karsai fliegt nach Anschlägen zurück nach Afghanistan

Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat nach den schweren Anschlägen in seinem Heimatland seine Reisepläne geändert und fliegt offenbar frühzeitig nach Afghanistan zurück. Karsai habe seinen für Mittwoch geplanten Besuch in London abgesagt, teilte die Downing Street am Dienstagabend mit. Er habe sich eigentlich zu Gesprächen mit dem britischen Premierminister David Cameron treffen wollen. Der britische Sender BBC berichtete, er kehre stattdessen früher als vorgesehen nach Afghanistan zurück.

Karsai hatte noch am Dienstagmorgen bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin betont, ohne Unterstützung Pakistans sei kein Friedensprozess in Afghanistan möglich. "Sowohl Afghanistan als auch Pakistan haben eine ganze Reihe sehr schwerwiegender Konsequenzen erfahren müssen aufgrund terroristischer Gewaltakte", sagte er.

Es gebe in Sicherheitsfragen einen sehr engen Zusammenhang. "Pakistan hat leider auch dort auf seinem Territorium bestimmte sichere Häfen für Terroristen. Darunter leiden wir beide. Das muss angegangen werden", forderte Karsai. Der Radikalismus müsse ausgemerzt werden. "Wir werden sonst keinen Frieden in Afghanistan haben und auch keinen Frieden und keine Stabilität in Pakistan. Es gibt da einen sehr engen Zusammenhang." Noch am Montag hatte die Weltgemeinschaft in Bonn über die Zukunft Afghanistans nach dem Nato-Abzug Ende 2014 beraten - über weitere Milliardenhilfen und eine Aussöhnung mit den Taliban.

Taliban distanzieren sich von Anschlägen gegen Schiiten

Der Angriff in Kabul galt dem Abu-Fasl-Schrein in der Altstadt, wo sich zahlreiche Gläubige an einem der höchsten Feiertage der schiitischen Muslime versammelt hatten. Die meisten von ihnen sind Hasara. Doch auch Schiiten anderer Volksgruppen Afghanistans wollten am Dienstag das Aschura-Fest feiern. An ihrem wichtigsten Feiertag gedenken Schiiten weltweit mit Selbstgeißelungen und Gebeten ihres Märtyrers Hussein, eines Enkels des Propheten Mohammed.

Es herrschte eine andächtige Stimmung, als plötzlich eine gewaltige Explosion die Feierlichkeiten erschütterte. Unbemerkt von Sicherheitskräften hatte sich ein Selbstmordattentäter in die Menschenmenge gemischt und inmitten der Feiernden seinen Sprengsatz gezündet. Der Anschlag ereignete sich nur rund 500 Meter vom Präsidentenpalast entfernt. Ein Augenzeuge berichtete: "Rund um den Schrein lagen überall Körperteile, auch Kinder waren unter den Toten." Insgesamt wurden bei den beiden Attentaten mindestens 58 Menschen getötet, mehr als 130 verletzt. Die Taliban wiesen jede Verantwortung zurück.

Angriffe gegen die schiitische Minderheit waren in Afghanistan anders als im Nachbarland Pakistan oder im Irak bislang äußerst selten. Die afghanischen Behörden hatten von Anfang an sunnitische Extremisten hinter den Taten vermutet. Die Taliban rekrutieren sich vorwiegend aus sunnitischen Muslimen. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid verurteilt die Anschläge aber ausdrücklich als "unmenschlich und unislamisch". Die Taliban würden es nicht zulassen, dass die Sicherheit der Afghanen im Namen von Religion oder Stammeszugehörigkeit gefährdet werde. Jeder Fünfte der knapp 30 Millionen Afghanen gehört zu den Schiiten.

Kurz nach dem Anschlag in Kabul explodierte im Zentrum von Masar-i-Scharif im Einsatzgebiet der Bundeswehr eine weitere Bombe. Der an einem Fahrrad befestigte Sprengsatz war nach Polizeiangaben in der Nähe einer schiitischen Moschee im Stadtzentrum detoniert. Auch in Masar-i-Scharif hatten Schiiten Aschura gefeiert.

"Angriff auf den Islam selbst" - Neue Dimension der Gewalt

Landeskenner wie Kate Clarke vom Afghanistan Analysts Network (AAN) sehen in den Anschlägen eine neue Dimension des Konflikts. Abgesehen von Übergriffen auf die schiitischen Hasara während des Taliban-Regimes habe es in Afghanistan in der Vergangenheit kaum sektiererische Auseinandersetzungen gegeben. Gleichwohl könne ein Angriff wie Kabul eine neue Spirale der Gewalt in Gang setzen.

Die Betroffenen stoßen ins gleiche Horn. "Schiiten und Sunniten leben in Afghanistan friedlich zusammen", sagt der schiitische Geistliche Seyed Taqdusi. "Es gibt keine politischen Unstimmigkeiten zwischen den beiden Gruppen." Die Drahtzieher des Kabuler Anschlags müssten daher außerhalb der Landesgrenzen gesucht werden. "Wir glauben, dass die Täter in Pakistan ausgebildet wurden", vermutet der Kleriker. Beweise hat er freilich nicht.

Dass das Nachbarland Pakistan eine entscheidende Rolle bei der Lösung des Afghanistan-Konflikts spielen muss, ist unstrittig. Bis heute soll es enge Verbindungen zwischen dem Militärgeheimdienst ISI und einzelnen Gruppen der Aufständischen geben. Unter anderem soll der ISI seine Finger bei dem Anschlag auf die indische Botschaft in Kabul Mitte 2008 mit mehr als 40 Toten im Spiel gehabt haben. In Bonn allerdings fehlte die Delegation aus Islamabad aus Protest gegen einen US-Angriff auf pakistanische Grenzposten.

Die internationale Schutztruppe Isaf verurteilte die Anschläge auf schiitische Muslime in Afghanistan scharf. Die Attacke an einem der heiligsten Tage im islamischen Kalender sei "ein Angriff auf den Islam selbst", sagte der amerikanische Isaf-Kommandant General John Allen am Dienstag in Kabul. "Wir verurteilen diese Verbrechen aufs schärfste", fügte er hinzu.

"Deutschland fühlt sich für das Schicksal Afghanistans verantwortlich"

Kanzlerin Merkel sagte als Reaktion auf die Anschläge in Berlin: "Wir müssen weiter hart arbeiten, um die Sicherheit in Afghanistan gewährleisten zu können." Auch Außenminister Guido Westerwelle erklärte, die Terrorakte zeigten erneut, dass es in eine friedliche Zukunft Afghanistans noch ein langer Weg sei.

Die Kanzlerin betonte, es könne nur eine politische Lösung geben. Dazu gehört für die Kanzlerin ein Versöhnungsprozess mit gemäßigten Taliban. Merkel versicherte: "Deutschland fühlt sich für das Schicksal Afghanistans verantwortlich." Deutschland sei verpflichtet, Afghanistan für ein weiteres Jahrzehnt zu helfen, wenn die Nato-Kampftruppen 2014 das Land verlassen.

Merkel und Karsai vereinbarten, die anschließende Zusammenarbeit in einem Partnerschaftsabkommen zu regeln. Schwerpunkte sollen das Training der afghanischen Sicherheitskräfte, Berufsausbildung und die Erschließung der Rohstoffe des Landes sein.

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte die Anschläge in Afghanistan. Er sei tief betroffen von den Nachrichten aus Kabul und Masar-i-Scharif, sagte ein Sprecher des Koreaners am Dienstag in New York. "Der Generalsekretär verurteilt den Angriff auf Zivilisten in der schärfsten Form und drückt den Verletzten und den Hinterbliebenen sein tiefstes Mitgefühl aus", sagte er.

dpa