Die "Tribüne": 50 Jahre deutsch-jüdisches Verständnis
Otto Rombergs publizistischer Kampf für die deutsch-jüdisches Verständigung: Artikel über Rechtsextremismus, über die Aufarbeitung des Holocausts - und über jüdisches Leben in Deutschland: Seit 50 Jahren wirbt die "Tribüne" für ein besseres Verständnis des Judentums.
05.12.2011
Von Igal Avidan

Die Folgen des Antisemitismus kennt Otto Romberg allzu gut. Fast seine gesamte Familie wurde in der Shoah ermordet. Seine Mutter und er überlebten nur dank des mutigen schwedischen Diplomaten Raul Wallenberg, der ihnen in Budapest Schutzpässe gab und sie im Oktober 1944, nachdem die ungarischen Faschisten diese Dokumente nicht mehr akzeptierten, sogar persönlich aus dem Deportationszug herausholte.

[listbox:title=Mehr im Netz[Tribüne - Zeitschrift zum Verständnis des Judentums##Zentralrat der Juden in Deutschland##Jüdische Gemeinde Frankfurt]]

Der junge Journalist, der beim anti-kommunistischen Aufstand 1956 vor den Panzern der Roten Armee nach Wien floh, siedelte 1959 nach Köln als Korrespondent für österreichische Zeitungen um. Er hoffte, "dass eine neue Generation jetzt in Deutschland lebt und kein Antisemitismus mehr existiert".

Doch während seiner ersten Heiligen Nacht wurde seine Hoffnung zerschlagen. Die Synagoge in Köln wurde mit Hakenkreuzen und der Inschrift: "Deutsche fordern: Juden raus" beschmiert. Diese Tat erschütterte damals Rombergs Vertrauen in die junge deutsche Demokratie so sehr, dass er wieder auswandern wollte. Doch er beschloss zu bleiben und zu kämpfen – mit der Macht des Wortes.

Zusammen mit seiner Frau Elisabeth und einigen Freunden gründete er im Dezember 1961 die Zeitschrift "Tribüne". Diese intellektuelle Publikation sollte durch Informationen Vorurteile gegen Juden abbauen, die deutsch-jüdische Verständigung und die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel fördern.

Nach nur sechs Monaten standen die Idealisten vor der Pleite. Ein befreundeter Bankier vermittelte Romberg die ersten Anzeigekunden. Diese Werbeeinnahmen garantieren bis heute die publizistische Unabhängigkeit des Magazins, von der die 7.000 Abonnenten profitieren können. Für die Finanzierung ist Rombergs Frau Elisabeth zuständig, die auch die Auswahl der Texte mitbestimmt und sie alle redigiert. Im Quartalsmagazin mit dem soliden Layout, das auf Fotos ganz verzichtet, kann man über jüdische Geschichte und Kultur heute lesen - in Israel, den USA und Österreich. Vor allem Professoren und Experten schreiben hier über die deutsche Aufarbeitung der NS-Geschichte, über Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Stets der "Blick nach rechts"

Romberg ist stolz auf die feste Kolumne "Blick nach rechts", die Einblicke in den rechtsextremen Aktivitäten und Publikationen bietet, die man in den meisten Medien vergeblich sucht. So liest man im jüngsten Heft über das letzte Pressefest des NPD-Verlags "Deutsche Stimme", das in einem sächsischen Dorf stattfand. Im "Kulturprogramm" trat die rechtsextremistische Band "Rote Charlotte" auf, die sich nach Charlotte Knobloch benennt, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinden in München und Oberbayern.

Bild links: Otto R. Romberg. Bild: Igal Avidan

Die NPD-nahe Münchner "Bürgerinitiative Ausländerstopp" kommentierte das Massaker des norwegischen Rechtsterroristen Anders Behring Breivik mit den Worten: "Jetzt erst recht – konsequent für Inländerinteressen". Man liest in der "Tribüne" zum Beispiel über den Konflikt um die Gedenkstätte Alte Synagoge in Essen, deren Islam-kritische Vortragsreihe im Essener Rathaus unbeliebt ist.

Von Merkel und Friedrich bis Roth und Huber

Otto Romberg, der im Dezember 79 Jahre alt wird, hat gute Gründe, stolz zu sein, wenn er auf die Bücherwand mit den Jahrgangsausgaben der "Tribüne" schaut. In all den Jahren gelang es ihm, die wichtigsten Politiker in Deutschland zu interviewen. Auf eine Autorisierung des Gesprächs mit Altkanzler Helmut Kohl, der 2010 Romberg und Salomon Korn, den Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main eingeladen hatte, um seine umstrittene Äußerung über "die Gnade der späten Geburt" zu erklären, wartet Romberg bis heute noch. "Kurz nach dem Interview holte Kohls Chauffeur meine beiden Kassetten", sagt Romberg. "Ich habe sie niemals zurückbekommen".

Das war eine Ausnahme. Im Jubiläumsheft erscheinen Rombergs Interviews mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, der Grünen-Bundesvorsitzenden Claudia Roth und IG-Metallchef Berthold Huber. Auch das Jubiläumsfest feiert die "Tribüne" sachlich und intellektuell mit einem Fachsymposium in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt. Nach 50 Jahren sind zwar die Hakenkreuze in Deutschland nicht verschwunden, aber im Kampf gegen den Antisemitismus konnte Otto Romberg viele wichtige Mitstreiter gewinnen - dank der "Tribüne".


Igal Avidan ist freier Journalist in Berlin.