Kirche: Letzte Chance für Frieden in Afghanistan
Mit dem Einmarsch internationaler Truppen begann vor gut zehn Jahren der Krieg in Afghanistan. Viele Chancen für einen nachhaltigen Frieden sind seither versäumt worden, schreibt der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, vor der Bonner Afghanistan-Konferenz in einem Gastbeitrag für evangelisch.de. Friedensethisch bleibe die militärische Intervention "höchst fragwürdig", nach dem Abzug der internationalen Truppen müsse der zivile Aufbau des Landes gestärkt werden.
02.12.2011
Von Renke Brahms

Am Montag findet in Bonn die Afghanistan-Konferenz statt. Ziel ist es laut Auswärtigem Amt, zusammen mit Afghanistan das langfristige Engagement der internationalen Gemeinschaft zu konkretisieren und den weiteren politischen Prozess im Land zu fördern. Zehn Jahre nach der ersten Petersberg-Konferenz zu Afghanistan ist dies die letzte Chance für eine international abgestimmte Gesamtstrategie für Afghanistan, die dem Land wirklich zu einer friedlichen Zukunft verhelfen kann. 90 Delegationen kommen in Bonn zusammen, um unter der Leitung der afghanischen Regierung zu beraten. Deutschland ist Gastgeberin dieses Treffens.

Im Hintergrund stehen die Erkenntnis, dass es eine militärische Lösung für Afghanistan nicht gibt, und die Einsicht, dass eine politische Lösung befördert werden muss, die den zivilen Aufbau und die Aussöhnung im Land in den Mittelpunkt stellt. Spät kommt die Erkenntnis, aber hoffentlich nicht zu spät. Noch stärker wiegt aber wohl das Argument, dass der militärische Einsatz der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan zunehmend in die Kritik gerät. Sie wächst sowohl in Afghanistan selbst als auch in den USA und in Deutschland.

Bundeswehr wird zur Ausbildung im Land bleiben

Die Entscheidung, bis 2014 die Kämpfe zu beenden und Truppen abzuziehen, ist auch mit diesem öffentlichen Druck zu erklären. Die Übergabe in Verantwortung beinhaltet auch eine Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch die afghanische Armee und Polizei. Dennoch ist schon jetzt abzusehen, dass die Bundeswehr zur Ausbildung im Land bleiben wird. Die Absicht der USA mit Militärbasen in Afghanistan zu bleiben, droht den Konflikt mit den Taliban allerdings nur zu verlängern und zu verschärfen.

In den zehn Jahren des Einsatzes sind viele Chancen für einen nachhaltigen Frieden versäumt worden. Unrealistische Einschätzungen über den Aufbau eines demokratischen Staates mit Hilfe einer Zentralregierung haben den Aufbau regionaler Strukturen verhindert. Das Fehlen eines national wie international abgestimmten Gesamtkonzepts hat zu sich widersprechenden Zielen geführt. Der mangelnder Aufbau der Justiz, der Verwaltung und der Wirtschaft und eine Konzentration auf den militärischen Einsatz führen zu einem widersprüchlichen Bild der Erfolge im zivilen Aufbau.

Der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms. Foto: epd-bild/Tristan Vankann 

Es gibt unzweifelhaft Erfolge im Bildungs- und Gesundheitswesen, Frauen spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit hoch und die wirtschaftliche Entwicklung kommt nur schwer voran. Die Sicherheitslage hat sich in den letzen Jahren eher verschlechtert. Viele Entwicklungen sind in einem solchem Prozess nicht vorauszusehen. Viele andere aber waren abzusehen. Warnende Stimmen vor einem Einsatz in Afghanistan sind überhört worden.

Kirche: Auch mit Taliban reden

Friedensethisch bleibt die militärische Intervention höchst fragwürdig. In diesem Sinne hat sich die EKD ausgehend von der Denkschrift "Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen" immer wieder zu Wort gemeldet. Friedensethisch dem Vorrang für zivile und gewaltfreie Konfliktbearbeitung verpflichtet, ging es dabei um einen echten Strategiewechsel vom Militärischen zum zivilen Aufbau des Landes. Dazu gehörte die Forderung nach einer ehrlichen Evaluierung des Einsatzes und einer Exitstrategie der Bundeswehr. Hingewiesen wurde auch immer auf die Bedeutung der Zivilgesellschaft und Notwendigkeit von Verhandlungen mit den Taliban, die auch einen Aussöhnungsprozess in Afghanistan möglich machen sollen.

Nun reicht es nicht, Recht zu haben mit manchen Einschätzungen und Forderungen. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit dem Engagement in Afghanistan Verantwortung übernommen, die sie nun nicht einfach aufgeben und auch nicht abgeschoben werden kann. Auch wenn die Erwartungen an die Afghanistan-Konferenz schon im Vorfeld von der Bundesregierung heruntergeschraubt wurden, kommt ihr dennoch eine große Bedeutung zu. Es müssen unumkehrbare Weichen für den weiteren Prozess gestellt werden. Dazu gehören:

Mittel vom militärischen in den zivilen Bereich umsteuern

1. Eine klare Abzugsperspektive der ausländischen Truppen. Jedes längere Bleiben über 2014 hinaus verstärkt den Eindruck, die internationale Gemeinschaft wolle das Land besetzt halten und sich den eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen unterordnen.

2. Ein langfristiges Engagement im zivilen Aufbau des Landes. Das beinhaltet den Aufbau und Entwicklung der Polizei genauso wie den Aufbau der Verwaltung, die Weiterentwicklung des Bildungswesens, den Schutz der Frauenrechte und die wirtschaftlichen Entwicklung. Die internationale Gemeinschaft darf sich nicht aus Afghanistan zurückziehen. Die Mittel, die bisher für den militärischen Einsatz ausgegeben wurden, sind in den zivilen Bereich umzusteuern.

3. Die Übergabe der Verantwortung in afghanische Hände darf sich nicht auf eine Zentralregierung beschränken, sondern muss die Breite der Zivilgesellschaft mit einbeziehen. Insofern ist die Vorkonferenz in Bonn, an der viele afghanische zivilgesellschaftliche Gruppen teilnehmen, ausdrücklich zu begrüßen. Sie müssen auch bei der offiziellen Konferenz eine wichtige Stimme erhalten.

Dass Pakistan seine Teilnahme an der Konferenz abgesagt hat, ist ein großer Nachteil. Denn ohne Pakistan ist eine politische Lösung in der Region nicht denkbar. Deshalb muss nach der Konferenz erneut das Gespräch mit dem Nachbarstaat Afghanistans gesucht werden. Es ist zur Zeit ganz offensichtlich nicht die Rolle der USA, diese Gespräche zu führen. Hierfür bedarf es ehrlicher Makler aus der Völkergemeinschaft.

Meine Hoffnung ist es, dass die Konferenz wichtige Schritte für Afghanistan verabreden kann und nicht nur ein kleiner unverbindlicher Trippelschritt bleibt.


Pastor Renke Brahms (55) ist Schriftführer in der Bremischen Evangelischen Kirche und Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).