TV-Tipp des Tages: "Tatort: Das Dorf" (ARD)
Ein vermeintlicher Selbstmörder, den Kommissar Felix Murot tags zuvor noch mausetot gesehen hatte, hüpft quicklebendig vor seinem Auto durch die morgendliche Landschaft des tiefsten Taunus.
02.12.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Tatort: Das Dorf", 4. Dezember, 20.15 Uhr im Ersten

Schon der Vorspann erinnert an die Krimis der Sechzigerjahre, als die Romane von Edgar Wallace dutzendfach verfilmt wurden. Der hessische "Tatort" ist allerdings keine Persiflage wie die "Wixxer"-Filme, auch wenn Kameramann Carl-Friedrich Koschnick gerade durch sein kontrastreiches Spiel mit Licht und Schatten immer wieder an die Bildgestaltung der Klassiker erinnert. In seiner ersten Regiearbeit seit "Bis zum Ellenbogen" (2007) überlässt Schauspieler Justus von Dohnányi die Szenerie vor allem seinem Kollegen Ulrich Tukur, der sich dieser Aufgabe gewohnt souverän entledigt. Mitunter strapaziert Daniel Nocke, Autor vieler preisgekrönter Filme Stefan Krohmers, allerdings sowohl die Grenzen des Genres als auch die Toleranz des Publikums. Aber selbst die absurden Momente der Geschichte haben ihre plausible Erklärung; und sei es die Tatsache, dass Felix Murot wegen seines liebevoll Lilly genannten Hirntumors oder dank diverser Medikationen träumt, halluziniert oder auf andere Weise den Bezug zur Realität verliert.

Eine Welt die die meisten nicht lebend verlassen

Dass die Geschichte hintergründig ist, ahnt man gleich zu Beginn, als ein vermeintlicher Selbstmörder, den Murot tags zuvor noch mausetot gesehen hatte, quicklebendig vor seinem Auto durch die morgendliche Landschaft des tiefsten Taunus hüpft. Aber sie ist auch untergründig, denn hinter der scheinbar harmlos skurrilen Fassade des verschlafenen Dorfs, in das Murot zwecks Amtshilfe gerufen worden ist, tun sich buchstäblich Abgründe auf: Durch Zufall entdeckt der LKA-Kommissar, dass man durch die Keller der Häuser Zugang zu einer Welt hat, die die meisten nicht mehr lebend verlassen. Trotzdem dauert es eine Weile, bis Murot klar wird, welch’ verbrecherisches Unwesen der honorige Herr Bemering (Thomas Thieme), die hübsche Ärztin Frau Herkenrath (Claudia Michelsen) und der Dorfpolizist Ulm (Devid Striesow) treiben.

Justus von Dohnányis Regiearbeit knüpft nahtlos an den ersten Tukur-"Tatort" ("Wie einst Lilly") an. Gerade durch Murots Halluzinationen fällt der Film deutlich aus dem üblichen Rahmen des Sonntagskrimis. Gleich zu Beginn singen die Besucher eines Gasthofs voller Inbrunst einen alten Song von The Sweet, später tanzt Murot mit der Ärztin einen tödlichen Pas de deux. Äußerst skurril ist auch eine Szene, in der Bemerings Mutter den Schlager "Quando quando quando" zum Besten gibt und der Kommissar die Dame doppelt sieht; ein amüsanter Gastauftritt für Alice und Ellen Kessler. Hart am Rand der Parodie ist schließlich ein Gastauftritt Sylvester Groths als launiger Pathologe, den Murot schließlich barsch fragt, ob er einen Clown gefrühstückt habe.

Über diese witzigen Momente verlieren Nocke und von Dohnányi mitunter die Krimihandlung etwas aus den Augen, denn eigentlich geht es um die Suche nach einem Mörder: Ein Bäcker ist erschlagen worden. Er war das einzige Mitglied einer Erbengemeinschaft, das gegen den Verkauf des geerbten Hauses war. Warum der Mann sterben musste, erfährt Murot in der Unterwelt; aber die Lösung nutzt ihm wenig, wenn er die Katakomben nicht lebend verlassen wird.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).