Bombenadvent: Halb Koblenz wird evakuiert
In Koblenz dreht sich derzeit alles um die anstehende Evakuierung, die größte der Stadtgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg. Am zweiten Adventssonntag muss die halbe Stadt schon in aller Frühe menschenleer sein, damit der Kampfmittelräumdienst eine gigantische britische Luftmine und eine etwas kleinere Fliegerbombe entschärfen sowie ein Tarnnebelfass sprengen kann.
01.12.2011
Von Marlene Grund

Der Evakuierungsplan ist eine logistische Großleistung. Um 45.000 Menschen - fast die Hälfte der Einwohner - in Sicherheit zu bringen, sind insgesamt 2.000 Helfer im Einsatz. Bei extremem Niedrigwasser entpuppte sich der Rhein im vergangenen Monat als eine wahre Waffenkammer. Allein rund um Koblenz wurden bislang neun Tarnnebelfässer und eine Serie hochexplosiver Bomben entdeckt, Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg, als die Innenstadt in Schutt und Asche gelegt wurde. Die gefährlichste Fliegerbombe, eine drei Meter lange und 1.800 Kilogramm schwere Luftmine, tauchte am Ufer des Koblenzer Stadtteils Pfaffendorf auf, 40 Zentimeter unter der Wasseroberfläche.

Ist die Stahlbombe mit den drei Messingzündern erst einmal trockengelegt, rechnet der Kampfmittelräumdienst mit einer relativ einfachen Entschärfung. Doch falls etwas fehlschlägt, "fliegen Splitter bis 800 Meter weit und im Radius von 1.400 Metern geht jede Fensterscheibe zu Bruch", sagt Norbert Gras, Sprecher der Koblenzer Feuerwehr, die gemeinsam mit den Ordnungsamt die Federführung der Evakuierung hat. Auch der Kampfmittelräumdienst erwartet eine neue Einsatz-Dimension. Die bisher größte Aktion fand im Mai 1999 statt, als 15.000 Bewohner in Koblenzer Stadtteil Metternich vorübergehend einer britischen Luftmine weichen mussten.

Stille in der Stadt

Es wird wohl ein äußerst stiller zweiter Advent in der Stadt am Mittelrhein. Sobald knapp die Hälfte der 106.000 Einwohner ihre Häuser geräumt hat, bricht die Feuerwehr zum Kontrollgang auf. Bewohner, die sich der Evakuierung widersetzen und die Entschärfung lieber zu Hause abwarten wollen, würden dann "sehr nachdrücklich" zum Verlassen der Häuser aufgefordert, kündigte Gras an. Zu diesem Zeitpunkt fahren keine Züge mehr die Stadt an Mosel und Rhein an, weder Autos noch Busse rollen, Bahnhöfe und Brücken sind gesperrt, die Schifffahrt auf dem Rhein ist eingestellt.

Gegen 14 Uhr startet dem Plan zufolge die eigentliche Entschärfung: Erst komme die große Luftmine dran, dann die 125 Kilogramm schwere US-Fliegerbombe, die ebenso wie ein Tarnnebelfass ganz in der Nähe entdeckt wurde. "Das Fass wird ganz zum Schluss gesprengt", kündigte Gras an. Bis die Bewohner wieder in ihre Häuser zurück dürfen, kann es nach seiner Schätzung 20 Uhr werden, aber durchaus auch später.

Seelsorger für den Notfall

Anwohner, die am Sonntag nicht bei Verwandten oder Freunden unterkommen und keinen Tagesausflug planen, können ab 6.30 Uhr mit kostenfreien Sonderbussen die Ausweichquartiere in Koblenzer Schulen ansteuern. Dort werden zwar "geheizte Räumlichkeiten mit Sitzgelegenheiten und Sanitäranlagen" geboten, aber weder Mahlzeiten noch Getränke. Auch die Kirchen haben sich auf die Evakuierung eingestellt: Gottesdienste fallen aus oder werden verlegt, Kirchen oder Gemeindehäuser außerhalb der Sperrzone für die Evakuierten geöffnet.

Pfarrerin Bettina Rohrbach leitet den Einsatz der ökumenischen Notfallseelsorge in Koblenz, die die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Sicherheitsdiensten unterstützt. Am Sonntag stehen 31 Theologen, darunter der Landespfarrer für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland, Uwe Rieske, in Evakuierungszentren als Ansprechpartner bereit. "Wir rechnen mit Menschen, die diese Evakuierung an Krieg und Flucht erinnert, andere halten Enge und Untätigkeit schlecht aus", sagt Rohrbach, die ebenfalls ihr Heim verlassen muss.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Bombe tatsächlich explodiert, stehen weitere Notfallseelsorger aus den Nachbarkreisen auf Abruf, um das Team zu verstärken.

epd