Kein Schulabschluss - trotzdem Arbeit?
"Schule? Kein Interesse!", so denken viele Jugendliche. Wenn sie dann von der Schule abgehen, rechnen sie kaum besser als ein Grundschüler oder verstehen selbst einfache Texte nicht. Ohne Hauptschulzeugnis ist es für Schulverweigerer fast unmöglich, einen Ausbildungsplatz zu finden. Hier sind Projekte zur Berufsqualifizierung gefordert. Eine unabhängige Agentur empfiehlt 18 dieser erfolgreichen Initiativen.
01.12.2011
Von Verena Mörath

Das staatlich finanzierte Übergangssystem gibt für den Wechsel von der Schule in den Beruf zwar den Rahmen vor, doch es sind gemeinnützige Organisationen, die die Qualifizierungen umsetzen. "Mittlerweile haben wir in der Berufsorientierung eine große Angebotsvielfalt, aber die ist kein Garant für Qualität und Wirkung", sagt Sabine Arras. Sie ist Pressesprecherin von Phineo, einem unabhängigen Beratungs- und Analysehaus in Berlin.

Hier werden gemeinnützige Organisationen, die bundesweit in sozialen Feldern aktiv sind, analysiert und bewertet. Jüngst wurden 97 Programme unter die Lupe genommen, die bildungsschwache Jugendliche auf dem Weg in den Job begleiten. Eine Empfehlung im Phineo-Themenreport "Hartz geklingelt? Jugendlichen echte Berufsperspektiven schaffen" bekamen schließlich 18 Projekte, darunter etwa Angebote zur Teilzeitausbildung junger Mütter (Frankfurt am Main), Paten-Projekte (Fürth und Köln) oder eine Initiative, die lernbehinderte Jugendliche zu Pferdepflegern ausbildet (Bielefeld).

7,5 Prozent der Jugendlichen haben keinen Hauptschulabschluss

Laut einer Bildungsanalyse der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2010 haben rund 7,5 Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs keinen Hauptschulabschluss, nichtdeutsche Schüler kommen auf einen Anteil von rund 15 Prozent. Eindeutige Verlierer scheinen die Förderschüler zu sein: Je nach Bundesland verlassen zwischen 57 Prozent und fast 97 Prozent die Schule ohne Abschlusszeugnis. Die Folge: Rund 324.000 junge Erwachsene mussten 2010 an Nachqualifizierungen teilnehmen, in der Hoffnung, einen Schulabschluss zu schaffen, eine Lehrstelle oder einen Job zu finden.

"Der Phineo-Report zeigt, dass solche Initiativen wirkungsvoll sind, die Wissensvermittlung, Berufspraxis und sozialpädagogische Betreuung verknüpfen und bei denen Staat, Wirtschaft, Familie und Zivilgesellschaft Hand in Hand arbeiten", fasst Arras zusammen. Zu den empfohlenen Trägern gehört das Projekt "Praxisorientierte Lerngruppen" des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschland (CJD) in Berlin. Dort bekommen derzeit 304 Jugendlichen aus 13 integrierten Sekundarschulen eine zweite Chance.

Der Schulmüdigkeit gekonnt ein Schnippchen schlagen

Kai (16) von der Heinz-Brandt-Schule war schulmüde und blieb in der 9. Klasse sitzen. Die Frage, wie er sich seine Zukunft vorstelle, beantwortete Kai stets mit einem Schulterzucken. Nun beweist Kai in der CJD-Metallwerkstatt, dass er handwerklich geschickt ist: "Ich bin stolz auf mich und weiß jetzt, dass ich etwas gut kann." Bald will er seinen Schulabschluss geschafft haben und eine Lehre im Bereich Metalltechnik beginnen. Drei Tage pro Woche ist er mit anderen Teilnehmern in den Werkstätten tätig, wo sie ihre praktischen Fähigkeiten erkennen und trainieren können. Neun Berufszweige stehen zur Auswahl. Und um den Lernstoff der 9. Klasse zu schaffen, bleiben zwei Jahre Zeit.

"Wichtig ist, dass alle durch einen Sozialpädagogen betreut werden, dass wir die Eltern einbinden und sich Lehrer und Werkstattausbilder immer abstimmen", erklärt Heiko Mursch, zuständiger CJD-Projektleiter. Die Bilanz ist beachtlich: Jährlich erreichen durchschnittlich 75 Prozent der Schüler ihren Hauptschulabschluss. Ein Großteil findet eine Ausbildungsstelle, geht auf eine weiterführende Schule oder schließt eine berufsvorbereitende Maßnahme an.

"Eine große Rolle für unseren Erfolg spielt die Zusammenarbeit mit Berliner Firmen, um Praktika und Ausbildungsstellen zu vermitteln", betont Mursch. Sabina Arras: "Angesichts des Fachkräftemangels ist die Wirtschaft in der Pflicht, die Türen auch für die Schwächeren zu öffnen."

epd