"Nur wer sich wertgeschätzt fühlt, achtet auf seine Gesundheit"
In Deutschland leben rund 73.000 Menschen mit HIV und AIDS. Die Zahl der Neuansteckungen ist leicht zurückgegangen. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), spricht über ihre Aufklärungsstrategie und wie man möglichst viele Menschen mit der HIV-Präventsionsbotschaft erreicht.
30.11.2011
Die Fragen stellte Markus Bechtold

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) leistet seit 25 Jahren Präventionsarbeit. Was haben Sie bereits erreicht und was wollen Sie noch erreichen?

Elisabeth Pott: Wir sind sehr froh, dass in Deutschland in diesem Jahr die Zahl von jährlich 3000 auf 2700 Neuinfektionen zurückgegangen ist. Damit haben wir mit unserer Prävention erreicht, dass sich immer weniger Menschen in Deutschland mit HIV anstecken. Wir standen schon mit den 3000 Neuinfektionen pro Jahr im internationalen Vergleich sehr gut da, weil sich die Situation weltweit noch sehr viel dramatischer darstellt, insbesondere im südlichen Afrika, in Osteuropa und Südostasien. Auch wenn dort laut UNAIDS die Zahlen der Neuansteckungen leicht rückläufig sind, sind sie dort aber immer noch unvergleichlich viel höher als bei uns. Wir sind sehr froh, dass wir seit 1987 unsere nationale Aids-Präventionsstrategie und -kampagne durchführen können und damit so erfolgreich sind.

Das vorhandene Bewusstsein für HIV und Aids in der Öffentlichkeit führen Sie also auf Ihre Kampagne zurück?

Pott: Nicht allein das vorhandene Bewusstsein für HIV und Aids. Die Menschen erfahren von uns, wie man sich mit HIV anstecken und wie man sich davor schützen kann. Wir untersuchen jährlich, wie viele Menschen mit unseren Angeboten erreicht werden und wie sich Wissen, Einstellungen und Verhalten verändern. Wir unterscheiden zwischen massenkommunikativen und personalkommunikativen Aufklärungsangeboten. Einerseits suchen wir den Kontakt zu den Menschen über Fernseh- und Kinospots, Plakate, Anzeigen oder Broschüren, auf der anderen Seite ist uns die persönliche Ansprache wichtig, um gegebenenfalls vertiefend Fragen direkt beantworten zu können. In den letzten Jahren hat das Internet enorm an Bedeutung gewonnen, weil Jugendliche vor allem im Internet unterwegs sind, aber auch Menschen, die online Sex oder einen Partner suchen. Unsere Kampagne entwickeln wir ständig weiter. Wir wissen, dass unterschiedliche Aufklärungsangebote einfach mehr Menschen erreichen. Dadurch ermöglichen wir, dass sie besser informiert sind und sich ihr Schutzverhalten erhöht.

"Wir erreichen

rund 90 Prozent

der Menschen"

 

Gibt es Menschen, die Sie überhaupt nicht mit der Präventionsarbeit erreichen?

Pott: Also: Wir erreichen rund 90 Prozent der Menschen. Das ist eine sehr hohe Reichweite. Bis Mitte der 90er Jahre hatten wir sogar eine noch höhere Reichweite, als die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten jeden Abend zur besten Sendezeit unsere Fernsehspots kostenlos ausgestrahlt haben. Das war unsere höchste Reichweite in der Geschichte der Aidspräventionsarbeit überhaupt. Irgendwann haben sich die Sendezeiten geändert und auch die Fernsehlandschaft in Deutschland, indem das Privatfernsehen hinzugekommen ist. Um diesen Verlust zu kompensieren, hatten wir den Kontakt zu privaten Fernsehsendern gesucht, die seitdem auch unsere Fernsehspots ausstrahlen. Zusätzlich zeigen wir in den meisten Städten gut sichtbar unsere Großplakate und gehen mit Spots in die Kinos. Heute erreichen wir aber vor allem über das Internet sehr viele Menschen.

Wie klären Sie online im Internet auf?

Pott: Im Internet bieten wir ein sehr vielseitiges interaktives Informations- und Kommunikationsangebot an. Wir zeigen Videospots und bieten Diskussionsforen an. Die Foren bieten die Möglichkeit, sich aktiv an der Kampagne durch die Entwicklung von eigenen Motiven, etwa bei den Plakatmotiven, zu beteiligen. Zusätzlich gibt es ein Online-Lexikon. Dort lassen sich Begriffe rund um das Thema Aids, die man nicht kennt oder die man nicht versteht, leicht nachschlagen. Unsere Wissenstests sind vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt. Manchmal denken die Nutzer, sie wüssten schon ganz gut Bescheid. Wenn sie dann unseren Wissenstest machen, stellen sie fest, dass sie doch Wissenslücken oder aber falsche Kenntnisse haben. Jugendliche schätzen es, wenn sie selber ihr Wissen überprüfen und gegebenenfalls ergänzen oder korrigieren können.

"Positiv zusammen leben. Aber sicher!" ist das Motto des diesjährigen Welt-Aids-Tages. Was ist das Besondere an dieser Kampagne?

Pott: Was wir in diesem Jahr zum Welt-Aids-Tag zum Abbau von Ausgrenzung und Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids machen, ist einmalig in Europa. Wir zeigen authentische Menschen, die mit einer HIV-Infektion leben. Dass wir diese Menschen dafür gewonnen haben, über ihre Lebenssituation zu berichten, ist etwas ganz besonderes, weil jeder, der mit seiner HIV-Infektion in die Öffentlichkeit geht, sich auch in der Gefahr sieht, nicht nur positive Reaktionen hervorzurufen. Deshalb sind wir dankbar, dass es Menschen gibt, die in die Öffentlichkeit gehen. Wir thematisieren in diesem Jahr verschiedene Lebensbereiche, wie "Positiv und Freund sein" oder "Positiv und überleben".

Da ist zum Beispiel jemand, der trotz einer HIV-Infektion vermutet hatte, dass er nicht infiziert ist, aber lange Zeit keinen HIV-Test gemacht hat und schließlich sehr krank geworden ist. Erst als es ihm extrem schlecht ging und dann ein Test gemacht wurde, wurde festgestellt, dass der schlechte Gesundheitszustand tatsächlich auf eine HIV-Infektion zurückzuführen ist. Durch die sofort einsetzende Therapie konnte er noch gerettet werden. Ein weiterer Botschafter unserer Kampagne erzählt, dass er vermutlich aufgrund seines HIV-positiven Status seine Arbeit verloren hatte. Eine Frau wiederum berichtet, wie sie in der Schwangerschaft erfahren hat, dass sie HIV-positiv ist. Sie ist Mutter geworden und ihr Kind ist nicht infiziert. Solche authentischen Beispiele von Menschen sind Gegenstand der aktuellen Welt-Aids-Tag-Kampagne.

Auf unserer Homepage fordern wir dazu auf, über diese Frage "HIV-positiv und Muttersein?" oder "HIV-positiv und arbeiten?" oder "HIV-positiv und Freund sein?" zu diskutieren. Die Resonanz ist groß. Ein wichtiges Ziel unserer Strategie ist, dass die Menschen miteinander reden und sich darüber bewusst werden, dass HIV und Aids nach wie vor ein Thema ist und dass Solidarität wichtig ist. Denn nur Menschen, die sich aufgehoben und wertgeschätzt fühlen und sich selber wichtig sind, achten auf die eigene Gesundheit, indem sie sich schützen. Beides gehört sehr eng zusammen. Das ist nicht nur eine Frage des Wissens, sondern auch eine Frage von Kommunikationsfähigkeit und von Wertschätzung sich selbst gegenüber. Deshalb ist die Solidaritätskampagne ganz wichtig für eine gelingende Präventionsarbeit.

"Am besten bindet man

die Zielgruppe

in die Entwicklung mit ein"

 

Aids geht uns alle an. Wie schaffen Sie es, Jugendliche, alte Menschen, Frauen, Schwule und Lesben, Großstädter und Landwirte, Verheiratete und Singles gleichermaßen anzusprechen?

Pott: Man muss sich immer darüber klar werden, wie die Menschen untereinander kommunizieren oder wo sie sich informieren. Wir analysieren, wer mit welcher Sprache, mit welchem Medium und mit welcher Botschaft erreicht werden kann. Zum Beispiel gehen junge Leute ganz gerne ins Kino. Sie erreichen wir gut über Kinospots. Schwule Männer erreichen wir sehr gut über die Deutsche Aids-Hilfe, die Aidshilfearbeit vor Ort, und über ihre Medien. Die Deutsche Aids-Hilfe ist die Dachorganisation der lokalen Aidshilfen. Hier engagieren sich viele Menschen ehrenamtlich, insbesondere auch schwule Männer. Die Aidshilfe spricht bewusst eine andere Sprache und hat eine andere Art, die Dinge darzustellen und mit Bildern zu versehen, als wir als Bundeszentrale das tun, die wir im Schwerpunkt die Allgemeinbevölkerung ansprechen.

Um möglichst viele Menschen zu erreichen, muss man unterschiedlich an die verschiedenen Zielgruppen herantreten. Am besten bindet man Menschen, die zur Zielgruppe gehören, mit in die Entwicklung von Angeboten und Maßnahmen mit ein. Dies geschieht über die Zusammenarbeit mit der Deutschen AIDS-Hilfe, deren Zielgruppen wir erreichen müssen, weil in Deutschland die Hauptbetroffenengruppe vor allem Männer sind, die Sex mit Männern haben und Drogengebraucher. Deswegen fördern wir die Arbeit der Deutschen Aids-Hilfe.

Spielt bei der Aufklärungsarbeit auch die Religionszugehörigkeit der Menschen eine Rolle? Sprechen Sie Christen anders an als Muslime oder Juden?

Pott: In jedem Fall müssen wir die Schutzbotschaften klar kommunizieren, unabhängig davon, dass die Kirchen unter Umständen eine unterschiedliche Einstellung zur Sexualität haben. Wir informieren nicht allein darüber, wie man sich beim Sex vor einer Ansteckung schützt, sondern beziehen die Themen Liebe, Verantwortung und Partnerschaft mit ein. Das sind Grundwerte, die grundsätzlich in allen Religionen eine wichtige Rolle spielen. Natürlich sind wir auch darauf angewiesen, dass diese Grundwerte in den Religionen akzeptiert sind. Grundsätzlich arbeiten wir kultursensibel. In der Bevölkerung und in den Medien stoßen wir mit unserer Arbeit auf eine breite Akzeptanz. Bevor wir mit einer unseren Kampagnen an die Öffentlichkeit gehen, testen wir zuvor immer die Akzeptanz der Motive im Hinblick auf Inhalt und Verständnis und auch auf die bildliche Umsetzung. Das ist wichtig, damit sich möglichst viele Menschen angesprochen fühlen. Die Religionszugehörigkeit spielt dabei aber explizit keine Rolle.

Arbeiten Sie in der Prävention mit der Kirche zusammen?

Pott: Wir haben schon in Diskussionsforen oder in der Erarbeitung von Konzepten an verschiedenen Stellen mit Kirchen zusammengearbeitet.

Papst Benedikt XVI. fordert Enthaltsamkeit und eheliche Treue als Antwort auf Aids. Was sagen Sie dazu?

Pott: Wir sagen den Menschen, ausgehend von unserer Präventionsbotschaft, was ansteckend ist und was nicht ansteckend ist. Wer sich in eine Risikosituation begibt, dem sagen wir, wie man sich vor einer Ansteckung schützen kann. Wenn das jemand mit seiner Religion nicht vereinbaren kann, orientiert er sich gegebenenfalls an der Empfehlung seiner Kirche, etwa an der Empfehlung der katholischen Kirche zur Enthaltsamkeit. Wir machen die Erfahrung, dass die Wirklichkeit meistens so aussieht, dass es Menschen schwer fällt, enthaltsam zu leben.


Professor Dr. med. Elisabeth Pott ist seit 1985 Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

 

Markus Bechtold ist Redakteur bei evangelisch.de.