Das Unglück in der schönen, neuen Welt beschäftigt den neuseeländischen Regisseur Andrew Niccol schon längere Zeit: In seinem Film "Gattaca", mit dem er 1997 bekannt wurde, entwarf eine sterile, kalte Version davon; in "S1mOne" ließ er 2002 Al Pacino einen virtuellen Star erschaffen; in seinem Drehbuch für Peter Weirs erfolgreichen "Truman Show" verpflanzte er seinen Helden in die künstliche Welt einer Fernsehserie. Ein sehr beklemmendes Bild der Zukunft zeichnet er nun auch in seinem neuesten Film "In Time – Deine Zeit läuft ab".
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All seinen Filmen ist gemein, dass der Horror der Zukunft aus den zugespitzten Symptomen der Gegenwart entwickelt wird. Nach den grenzenlosen Möglichkeiten der Genmanipulation ("Gattaca") und den Verführungen und Fallstricken virtueller Wirklichkeiten ("Truman Show") wendet er sich jetzt dem Phänomen von Zeitknappheit und Jugendwahn zu. Dabei wirkt "In Time" wie ein Zwillingsfilm von "Gattaca", allein schon in der Art wie er eine künstliche Welt konstruiert, und zwei junge Liebende zu Revolutionären im Kampf für die Menschlichkeit gegen die Regeln einer durchorganisierten, scheinbar perfekten Welt macht.
"In Time" spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der das Altern eliminiert und der menschliche Körper genetisch so programmiert ist, dass er den Höhepunkt an Schönheit und Vitalität mit 25 Jahren nie überschreitet. Das führt zu bizarren, durchaus inzestuösen Verwirrungsmomenten, weil sich die Generationen optisch nicht mehr unterscheiden und die Mutter eines 25-Jährigen wie dessen Freundin aussieht. Um einer unkontrollierten Bevölkerungsexplosion entgegenzuwirken, ist die offiziell zugeteilte Lebenszeit auf ein weiteres Jahr beschränkt, ein Nachteil, aus dem man sich mit den entsprechenden finanziellen Mitteln freikaufen kann.
Es entsteht eine in Wohlstandszonen eingeteilte Klassengesellschaft, in der die Ghettos der Armen von den abgeriegelten Luxusressorts der Superreichen getrennt sind. Unerlaubte Grenzüberschreitungen werden von sogenannten "Time Keepern" überwacht, düsteren Agenten, die an die grauen Herren aus Michael Endes "Momo" erinnern. Die Zeit wird in diesem System zur Währung, Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Jahre sind das Kapital, mit dem man in der Kantine, beim Autohändler, an der Autobahnmautstelle bezahlt. Jeder Mensch hat ein Zeitkonto, dessen Kontostand als digitale Anzeige in den Unterarm gebrannt ist, und von dem allerorten abgebucht werden kann. Steht das Konto auf Null, erlischt der Mensch von einem Moment zum nächsten.
Schillernde Bühne für Anführer der Rebellion
So wie Niccol in "Gattaca" Jude Law, Ethan Hawke und Uma Thurman als Vertreter einer neuen aufregenden Schauspielergeneration etablierte, bereitet er jetzt den jungen Stars Amanda Seyfried und Justin Timberlake als Anführer der Rebellion eine schillernde Bühne. Timberlake, der seit seinem eindrucksvollen Debüt in "Alpha Dog" ein wenig zum blassen Vorzeigeschwiegersohn ("Freunde mit gewissen Vorzügen") gesunken ist, zeigt hier als getriebener Underdog aus dem Ghetto kantigere, härtere, nervösere Seiten.
Eines Abends in einer Bar kommt er einem Unbekannten zu Hilfe, der in zwielichtiger Gesellschaft sein übervolles Zeitkonto zur Schau stellt, als würde er mit einem Bündel Tausender wedeln. Der Lebensmüde mit dem trügerischen Dorian-Gray-Antlitz überschreibt ihm seine Lebensjahre und stört damit das fragile Gleichgewicht zwischen arm und reich. So beginnt ein rasanter Thriller, in dem die Konkurrenten der verlorenen Zeit hinterherjagen, und das junge Pärchen im Geist der Occupy-Wallstreet-Bewegung an den Machtverhältnissen rüttelt.
USA 2011. Regie und Buch: Andrew Niccol. Mit Amanda Seyfried, Justin Timberlake, Cillian Murphy, Vincent Kartheiser, Olivia Wild, Matt Bomer, Johnny Galecki. 109 Min. FSK: ab 12, ff.