3.000 bis 6.000 Menschen – aus siebzig Nationen – sind allwöchentlich zu den 100 Brüdern unterwegs. Seit 34 Jahren wird von dort aus das Europäische Jugendtreffen organisiert. Es findet alljährlich zur Jahreswende statt, jedes Jahr in einer anderen europäischen Großstadt, mit bis zu 100 Tausend Besuchern. In allen Ländern der Erde gibt es Kirchen, die sich regelmäßig zu Taizé-Gottesdiensten treffen oder Chöre, die Taizé-Gesänge im Programm haben. Ohne jemals für sich geworben zu haben, geht von diesem kleinen Mönchsorden ein bemerkenswerter Einfluß in die Welt aus.
"Bleiben sie hier, wir sind so einsam"
Eine Stunde schaukelt der Omnibus über die vom Herbst goldgelb gefärbten Weinberge des Burgund. Die Nationalstraße 981 führt vom Bahnhof Chalon sur Saone direkt bis ins kleine Dorf Taizé. Vor siebzig Jahren radelte auch ein junger Schweizer namens Roger Schutz durch diese Landschaft. Der Pastorensohn suchte einen Ort, der sich für ein frauloses, schlichtes "Leben im Gebet" eignete. Im verlassenen, zur Hälfte zerstörten Dorf Taizé, bettelte eine alte Frau: "Bleiben sie hier, wir sind so einsam".
Für Schutz war es, als wenn Gott gesprochen hätte. Er kaufte ein Haus, es schlossen sich ihm die ersten Brüder an. Gemeinsam gründeten sie zunächst eine evangelische, später ökomenisch ausgerichtete, Comunauté (Gemeinschaft). Zur Versöhnung der Menschen beizutragen, war ihnen allen von Anbeginn wichtig. Im Zweiten Weltkrieg versteckten sie jüdische Flüchtlinge, nach dem Krieg kümmerten sie sich um deutsche Kriegsgefangene, in neuerer Zeit um Flüchtlinge aus Ruanda und Albanien.
Ab den fünfziger Jahren kamen die ersten jungen Menschen nach Taizé gepilgert. Dort konnten sie sich unter Anleitung der Brüder mit biblischen oder spirituellen Themen beschäftigen. Gegen ein geringes Entgelt erhielten sie Kost und Logis, halfen aber auch mit Essen zu kochen, Clohs zu putzen, Tee auszuschenken. "Tief im Inneren sind Jugendliche auf der gleichen Suche wie wir", hatte Gründervater Roger Schutz noch zu seinen Lebzeiten gesagt und hieß alle willkommen, ob sie nun glaubten oder nicht. Als es immer mehr wurden und die Dorfkirche von Taizé zu eng wurde, bauten die Brüder ein Gebetshaus. Eine Kirchenhalle, die Tausende aufnehmen konnte. Und so kommen sie seit dem in Strömen – aus siebzig Nationen, das ganze Jahr über.
Jugendliche in Lederjacken und Norwegerpullis
Der Mittagsgottesdienst hat noch lange nicht begonnen und in der Kirchenhalle liegen bereits einige Mädels auf Ellenbogen gestützt und schreiben Ansichtskarten. Daneben diskutieren Jugendliche in Lederjacken und Fransentüchern mit Jugendlichen in Norwegerpullis und Dreadlocks, "über Gott und die Welt". Halbstarke Jungs in Trainingsanzug und mit Gel im Haar, vorhin noch auf dem Bolzplatz Fußball gespielt, sitzen jetzt im Gebet versunken. "Wir sind alle gleich hier, jeder kann kommen, ob christlich oder nicht, niemand sagt, ich bin heilig", meint Sebastian aus Hamburg.
[listbox:title=Anmeldung zum Taizé-Jugendtreffen[Auf der Internet-Seite: www.taize.fr/de können sich Jugendgruppen, aber auch einzelne Jugendliche, für die Jugendtreffen in Taizé und das nächste Europäische Jugendtreffen, in diesem Jahr vom 28. Dezember, 2011 bis 1. Janaur in Berlin, anmelden. Anmeldeschluss für Berlin ist der 1. Dezember 2011. Busfahrten nach Taizé aus allen Teilen Deutschlands organisiert Regenbogen-Tours (71460 Ludwigsburg, Tel.nr. 07141-9754321, www.regebogen-tourservice.de).]]
"Man lernt so viele Menschen hier kennen und kann ganz offen miteinander reden, das ist etwas besonderes, wo doch heute jeder für sich ist", schwärmt Ursula aus Berlin. "Hier kann man erleben, dass Gebet auch etwas schönes sein kann, jeder kann mitmachen und mitsingen" strahlt ein anderer junger Mann. Taizé hat eine einfache Form des gemeinsamen Singens entwickelt, Texte und Melodien sind unkompliziert und mehrsprachig singbar. Die Gesänge werden immer wieder wiederholt und gleichen so einer Form der Meditation. "Singen ist wie eine Sprache, weil alle mitmachen können und es schafft eine Atmosphäre des miteinanders", erklärt eine Pfarrerin, die eine Gruppe Jugendlicher aus dem Schwabenland begleitet hat. Die Taizé-Gesänge sind inzwischen weit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt und werden von Kirchengemeinden in aller Welt gesungen.
"Was wirklich wichtig ist im Leben"
Für die Woche Taizé zahlen Gäste 150 bis 200 Euro. Die Brüder bieten triste Mehrbettzimmer in Blockhütten und Baracken, die ganz Jungen sind in Großraumzelten auf der Wiese untergebracht. Durchgeschlafene Betten, raue Decken und kalte Duschen machen die Gäste bescheiden.
Das schlichte Taize-Frühstück. Foto: Petra Jacob
Nach dem Morgengottendienst wird sich mit Tablett und Napf fürs Frühstück angestellt. Freiwillige Helfer verteilen Weißbrot und je ein Stück Butter. Mittags gibt es Erbsen mit Speck und einen Apfel, abends Gerstenbrei mit geriebenem Käse.
Schlichtheit ist den Brüdern Bedingung. Anstatt Fernseher und PC gibt es Diskussionsgruppen, Bibelarbeit, drei Gottesdienste täglich und Chorstunde oder die Gelegeheit sich und Gott während einer Stillen Zeit näher kennen zu lernen. Ein "Weltdorf für innere Abenteuer" nennt es der Chefredakteur des Konradblattes in seinem gleichnamigen Buch über Taizé. "Die einfachen Lebensbedingung weisen den Weg auf das was wirklich wichtig ist im Leben", findet Oswald, ein junger Besucher aus der Oberpfalz. "Es ist fast wie ins Kloster gehen" lachen einige der Jugendlichen.
Europäische Jugendtreffen
Unter dem Motto "Pilgerweg des Vertrauens" steht das, alljährlich zur Jahreswende von der Communauté de Taizé veranstaltete, Europäische Jugendtreffen. Pilger sind die zahlreichen Jugendlichen, die sich aus Europa und der ganzen Welt auf den Weg in diese Städte machen. Gemeinsam mit den dortigen Ortskirchengemeinden werden "fünf Tage der Begegnung mit anderen, mit Gott und mit sich selbst" erlebt, wie es in einem Faltblatt zum Treffen heißt. Den Gemeinden werden verschiedene Nationalitäten zugeteilt, "eine gesunde Mischung nach Herkunft und Sprache". Die meisten Besucher werden bei Gastfamilien leben.
Die Großveranstaltung vereint Gebetstreffen und Bibelgespräche in den Gemeinden und Singen und Gottesdienste mit Massenverpflegung auf den jeweiligen Messegeländen. Die Erfahrungen, die durch die internationalen Begegnungen mit Menschen und Kirchen, gesammelt werden, sollen den jungen Menschen neue Impulse für den eigenen Glauben geben und sie sollen heimkehren mit dem Ziel: "eine Zukunft in Frieden vorzubereiten".
Rückblick auf Budapest
Erinnerung an das Europäische Jugendtreffen in Budapest. Nuszi und Jozef Toth, ein
kinderloses Rennterpaar, waren dem Fernsehaufruf gefolgt und wollten zwei der Besucher aufnehmen. Am Empfang einer der Ortskirchengemeinden auf der Arbeiterinsel Csepel lösten sie sich schüchtern aus dem Halbdunkel. Sie im grauen Wintermantel, darunter ein lila Schürzenkleid, das graue Haar streng zurückgekämmt und mit gütigen Augen. Er mit aufgedunsenen Gesicht, Sorgenfalten und humpelnd. Die Französin Christine aus Paris und ich folgten ihnen die grauen Straßen entlang zu einer Plattenbausiedlung. Im Dunkeln tasteten wir uns die Treppe hoch in den 3. Stock zu ihrer winzigen Zweizimmerwohnung. Sie stellten uns ihr einziges Bett zur Verfügung, selbst wollten sie die Tage auf dem Wohnzimmersofa schlafen. Ein kleiner Plastikchristbaum stand noch auf der Fensterbank, der Schmuckbehang: in Alufolie gewickelte Zuckerwürfel.
Obwohl wir Essensmarken hatten, kochten sie uns Gulascheintopf, bruten mit Rosinenquark und Äpfel gefüllte Pfannkuchen. An Silvester öffneten sie eine Flasche Sekt und besuchten mit uns den Mitternachtsgottesdienst. Mit anderen Besuchern und ihren Familien sangen und beteten wir dort auf französich, deutsch, ungarisch, polnisch und russisch – gleichzeitig und uns dabei an den Händen haltend. Hinterher gab es bei den Toths heiße Würste und die Fotoalben wurden hervorgeholt. Nuszi erzählte von ihrer Zwangsarbeit in einem russischen Bergwerk. Jozef schob das Hosenbein hoch und zeigte uns vier Narben von Schusswunden. Beim Volksaufstand 1956 gegen die Russen war er angeschossen worden. Späte wurde er für seinen Mut geehrt und stolz setzte er sich mit seiner Medaille und Urkunde für ein Foto zurecht. Für die Heimreise schmierte uns Nuszi noch dicke Salamistullen. Mit im Gepäck hatten wir auch eine Nachricht für unsere Eltern: "Liebe Eltern, es machte uns Freude, dass wir Eure Mädchen gekennt hant, wir wünschen ein glückliches Neujahr mit Gesundheit."
Petra Jacob ist freie Journalistin.