TV-Tipp des Tages: "Das dunkle Nest" (ZDF)
Gabriel Reinberg ist zwar ein Pfarrer, wie ihn sich eine Gemeinde nur erträumen kann, aber nach dem Mord an einem 12jährigen Mädchen, das sich stark zu ihm hingezogen fühlte, fällt ein ungeheurer Verdacht auf den Priester.
25.11.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Das dunkle Nest", 28. November, 20.15 Uhr im Zweiten

Ein Mann des Lichts, der sich mit Dunkelheit umgibt: Schauspieler träumen von solchen Charakteren, die man nicht sofort lückenlos einordnen kann. Und weil das düstere Drama "Das dunkle Nest" auch ein Krimi ist, lebt der Film nicht zuletzt von der Frage, ob die charismatische Hauptfigur nicht doch ein Mensch mit finsteren Abgründen ist. Christian Berkel ist eine wunderbare Besetzung für diese Rolle: Gabriel Reinberg ist zwar ein Pfarrer, wie ihn sich eine Gemeinde nur erträumen kann, aber nach dem Mord an einem 12jährigen Mädchen, das sich stark zu ihm hingezogen fühlte, fällt ein ungeheurer Verdacht auf den Priester; und dank Berkels vielschichtigem Spiel begleitet den Pfarrer fortan ein Schatten des Zweifels. Für die Menschen im Dorf ist der Fall allerdings klar. Anfangs sind es bloß vereinzelte Entgleisungen, später bleibt die Kirche leer; und schließlich muss Reinberg um sein Leben fürchten.

Gefängnisseelsorger und Gutachter von Sexualstraftätern

Natürlich ist der Bezug des Drehbuchs zu den Missbrauchsfällen in Einrichtungen der katholischen Kirche unübersehbar. Der Mangel an Entschlossenheit, die Skandale rückhaltlos aufzuklären, ist der Nährboden, auf dem der Verdacht gegen den Priester wächst. Autor Andreas Dirr hat Reinberg zudem mit einer interessanten Vorgeschichte ausgestattet: Der Pfarrer ist nicht nur Theologe, sondern auch promovierter Psychologe. Bevor er drei Monate zuvor die kleine Gemeinde übernommen hat, war er Gefängnisseelsorger und Gutachter von Sexualstraftätern. Die Dunkelheit, glauben die Leute im Dorf, ist ihm gefolgt. Nach dem Mord an dem Mädchen hat die leitende Ermittlerin (Katharina Müller-Elmau) zwar keinen Zweifel an Reinbergs Unschuld; ihr Kollege (Andreas Schmidt) ist allerdings überzeugt, Reinberg habe als Gutachter auch seine "eigene Thematik" abgearbeitet. Tatsächlich findet er schließlich ein Indiz, das die Schuld des Priesters unumstößlich zu beweisen scheint.

Im berechtigten Vertrauen auf eine starke Handlung beschränkt sich Regisseurin Christine Hartmann weitgehend darauf, ihre Hauptdarsteller mit zu bemerkenswerter Intensität zu inszenieren. Treffend besetzt sind auch die komplexen Nebenfiguren: Petra Schmidt-Schaller und Johann von Bülow als Eltern des toten Mädchens sowie Peter Lerchbaumer als Patriarch des Dorfes. Und die überraschende Auflösung wirkt keineswegs wie aus dem Hut gezogen, sondern ist Teil einer Geschichte, die vor zwölf Jahren ihren Anfang genommen hat.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).