"Moby Dick", 27. November, 20.15 Uhr auf RTL
Interessanterweise wirkt die neue Fernsehverfilmung über weite Strecken wie eine Reminiszenz an John Hustons Klassiker aus dem Jahr 1956. Der Wal stammt zwar aus dem Computer, wurde aber gewissermaßen altmodisch gestaltet und ist dem Titeltier aus den Fünfzigern daher näher als den modernen digital animierten Leinwandmonstern aus Hollywood-Produktionen wie "Avatar". Gedreht wurde zudem tatsächlich auf offener See und nicht etwa im Studio, was enorm zur Authentizität beiträgt. Regisseur Mike Barker hat Erfahrung mit dem Sujet: Gemeinsam mit Kameramann Richard Greatrex hat er zuletzt ebenfalls im Auftrag von Herbert Kloiber "Der Seewolf" verfilmt (Drehbuch hier wie dort: Nigel Williams).
Ein ebenso gottloser wie bibelfester Captain Ahab
Entscheidender aber ist gerade in diesem Fall die Besetzung der Hauptrolle. Im Unterschied nicht nur zu Gregory Peck, sondern auch zu dem Ahab, wie ihn Patrick Stewart vor 13 Jahren in einem TV-Film verkörpert hat, wirkt der Kapitän dank William Hurt diesmal nahbarer. Natürlich grenzt seine Besessenheit, den weißen Wal zur Strecke zu bringen, nach wie vor an Wahnsinn. Aber Autor Williams ergänzt Melvilles Prolog um ein entscheidendes Element. In früheren Adaptionen blieb Captain Ahab stets entrückt; seine Präsenz wurde zunächst allein auf das Pochen der Beinprothese reduziert, wenn er nachts ruhelos übers Deck ging. Williams und Barker aber führen Ahab nicht nur als Ehemann ein (Gillian Anderson spielt seine Frau), sie berauben ihn von Anfang seiner Aura der Unnahbarkeit, als er gleich zu Beginn ausrutscht und stürzt. Melvilles Ausführungen zu Religion und Philosophie sind nur ein Randaspekt, nehmen aber dennoch genug Raum ein, um den ebenso gottlosen wie bibelfesten Ahab zu einer faszinierend widersprüchlichen Figur zu machen.
Natürlich ist "Moby Dick" ein Ausstattungswerk, und dank der wiederholten Konfrontation zwischen Mensch und Kreatur kommt es immer wieder zu packenden Szenen. Doch es gibt ebenso Sequenzen, die die Eintönigkeit an Bord illustrieren. Der ebenfalls von TMG produzierte Zweiteiler "Der Seewolf" ist vor zwei Jahren im ZDF gelaufen. Dort wäre auch "Moby Dick" womöglich besser aufgehoben. Im RTL-Programm wirkt der 120 Minuten lange Film mit seiner gesetzten Erzählweise und den betont fahlen Farben eher ungewöhnlich. Es hätte auch eine zweiteilige Version gegeben, aber das war dem Privatsender angesichts der eher mageren "Seewolf"-Quoten (im Schnitt bloß rund 3,5 Millionen Zuschauer) wohl zu riskant.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).