Herr Dr. Tiersch, seit 60 Jahren wird im Fernsehen das Wetter vorhergesagt. Wieso sind die Menschen so von Sonne und Wolken, Regen und Schnee fasziniert?
Gunther Tiersch: In erster Linie natürlich, weil jeder direkt davon betroffen ist, weil es in jedem Gefühle auslöst. Jeder freut sich doch, wenn die Sonne scheint, weil er dann raus kann. Übers Wetter kann man sich täglich freuen – oder eben auch aufregen.
Dabei ist das Wetter heutzutage doch gar nicht mehr so wichtig wie noch zu Zeiten der Agrargesellschaft.
Tiersch: Genau das glaube ich nicht, ich denke sogar, dass es heute viel wichtiger ist. Es stimmt schon, dass die Landwirte früherer Zeiten immer nach dem Wetter schielen mussten, um zu wissen, wann sie ernten oder aussäen konnten. Aber vergessen Sie nicht, wie wichtig die Wettervorhersage heutzutage zum Beispiel für den Straßenverkehr ist. Ohne eine vernünftige Vorhersage, ob es Straßenglätte gibt oder nicht, können keine Streudienste rausfahren, und auch der Luftverkehr ist enorm vom Wetter abhängig. Nicht zu vergessen die Warnung vor Unwettern, die Leben retten kann. Wir machen es uns vielleicht nicht mehr so bewusst, wie abhängig wir gerade heute vom Wetter sind.
"Der zum großen Teil
vom Menschen verursachte
Klimawandel ist da"
Man hat auch den Eindruck, dass extreme Wetterlagen häufiger sind als früher.
Tiersch: Das trifft zu, dieses Phänomen beobachten wir Meteorologen auch. Seit es wärmer geworden ist, und ich will da mal die vergangenen 20 Jahre als Zeitraum nehmen, sind die Wetterextreme stärker geworden. Das heißt, wir haben einen wesentlich häufigeren Wechsel von warm zu kalt, aber auch die Gewittertätigkeit hat sich verstärkt, mit der Tendenz zu mehr Niederschlag und Hagel – da gab es in den letzten Jahren ja im Sommer immer wieder Rekordwerte. Das sind Extreme, die sich tatsächlich gehäuft haben.
Hat das was mit dem Klimawandel zu tun?
Tiersch: Ja, das muss man wohl so deuten, weil wir natürlich wissen, dass eine wärmere Atmosphäre mehr Energie hat und es deshalb zum Beispiel mehr Unwetter gibt. Die Meteorologen und Klimatologen sind sich weitgehend darin einig, dass der zum großen Teil vom Menschen verursachte Klimawandel da ist.
Sie sagen im ZDF das Wetter seit 25 Jahren an. Was hat sich in dieser Zeit entscheidend verändert bei der Wetterprognose?
Tiersch: Die technischen Fortschritte sind natürlich enorm. Wir haben zum Beispiel schon Mitte der achtziger Jahre beim ZDF die statischen Wetterkarten mit einem neuen digitalen System in Bewegung gebracht. Wir haben dann aber vor allem in den neunziger Jahren enorme Verbesserungen bei den Wettervorhersagen bekommen, weil die Modelle der Wetterdienste, die die Erde abbilden und auf denen die Prognosen basieren, wesentlich besser geworden sind – damit stieg die Genauigkeit der Vorhersagen.
"Mich ärgert, wenn unsere
Prognose nicht stimmt,
aber ich kann auch darüber lachen"
Trotzdem passiert es nicht selten, dass Sie und Ihre Kollegen völlig falsch liegen.
Tiersch: Eine falsche Vorhersage kann schon passieren, natürlich treffen nicht alle Prognosen ins Schwarze. Aber von zehn Vorhersagen stimmen unseren Erfahrungen zufolge immerhin neun. Die als falsch empfundenen Vorhersagen rühren manchmal auch daher, dass wir den Leuten nicht optimal vermitteln konnten, was wir wissen. Sie sind also in der Regel eher ein Problem der Kommunikation als ein Problem falscher Werte.
Werden Sie nach einer falschen Prognose auf der Straße angesprochen?
Tiersch: Klar, das kommt schon vor, dass mich Leute beim Bäcker ansprechen und sagen: Na, das habt ihr jetzt aber nicht richtig vorhergesagt.
Ärgert Sie das?
Tiersch: Mich ärgert, wenn unsere Prognose nicht stimmt, aber ich kann auch darüber lachen. Wir sind auch nicht unfehlbar. Mein Blick geht schon häufig nach draußen, um zu überprüfen, ob ich richtig gelegen habe. Ich bin sozusagen ständig am Thema dran. (lacht) Wenn im Sommer eine westliche Gewitterfront auf Mainz zuzieht, und wir haben in der ZDF-Wetterredaktion einen wunderbaren Blick nach Westen, dann stehen alle am Fenster.
Früher war der Wetterbericht eine bierernste Angelegenheit, heutzutage wird er flapsiger präsentiert. Finden Sie das gut?
Tiersch: Es geht heutzutage gar nicht mehr anders, und ich finde auch, ein gewisser Humor steht dem Wetterbericht ganz gut an. Abgesehen von Unwetterkatastrophen ist das Wetter immer auch etwas, über das man sich mit Freude unterhält, und deshalb müssen wir das auch ein bisschen unterhaltsam präsentieren. Es darf nur nicht auf Kosten des Informationsgehalts gehen.
"Ich will authentisch
bleiben, und dann erreiche ich
auch den Zuschauer"
Sie sind, verglichen mit einigen Ihrer Kollegen, ein eher nüchterner Wetterfrosch.
Tiersch: Das empfinde ich selbst aber anders. Ich versuche, meine Begeisterung über das Wetter dem Zuschauer nahe zu bringen. Wenn ich ein bisschen mehr Zeit habe im Wetterbericht, dann kann ich auch unterhaltsamer sein, und das ist auch mein Ziel. Es muss aber kein Bauerntheater sein, ich will authentisch bleiben, und dann erreiche ich auch den Zuschauer.
Also keine Show à la Kachelmann?
Tiersch: Er hat in den neunziger Jahren eine gewisse Bewegung reingebracht, gar keine Frage, aber eine Weiterentwicklung war ja dann nicht da. Ich bin sicher auch etwas mutiger geworden und habe mir damals schon die Frage gestellt, wie ich ein bisschen lockerer werden kann bei der Vorhersage des Wetters. Ich sehe aber heute im deutschen Fernsehen niemanden, der aus der Reihe tanzt und von der recht seriösen Informationsvermittlung wesentlich abweicht.
Und welches Wetter gefällt Ihnen persönlich am besten?
Tiersch: Beruflich immer das Wetter, wo etwas passiert: Gewitterfronten, starker Schneefall, solche Sachen. Privat habe ich es, so wie die meisten Menschen auch, am liebsten mild und sonnig.
Und was ist das beste Wetter fürs Rudern? 1968 gewannen Sie als gerade mal 14-jähriger Steuermann die olympische Goldmedaille mit dem Deutschland-Achter.
Tiersch: Spiegelglattes Wasser, also kein Wind. Ich habe allerdings schon lange in keinem Ruderboot mehr gesessen.
Der promovierte Meteorologe Gunther Tiersch stammt aus Schleswig-Holstein und ist seit 1998 Leiter der ZDF-Wetterredaktion in Mainz. Das Wetter war aber nicht immer das beherrschende Thema in Tierschs Leben. In jungen Jahren widmete er sich mit großem Erfolg dem Rudern: 1968 wurde er im zarten Alter von 14 Jahren bei den Olympischen Spielen in Mexiko Olympiasieger als Steuermann des Deutschland-Achters. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Mainz.