Kinder-Ortung per Handy: Mama weiß immer, wo du bist
Kontrolle auf Schritt und Tritt: Mithilfe moderner Satellitentechnik können Eltern rund um die Uhr überprüfen, wo sich ihre Kinder gerade befinden. Der Markt für die Peilgeräte und Ortungsdienste wächst. Kinderschützer sehen den Trend zur Dauerüberwachung mit Sorge.
23.11.2011
Von Tobias Kurfer

Das Schulmädchen mit dem Teddy in der Hand hat ein argloses Gesicht. Verträumt, ein Liedchen pfeifend, schlendert es durch die Straßen einer Stadt. Doch offenbar droht dem Kind Gefahr: Wie ein Schatten liegt ein riesiges dunkles Fadenkreuz auf dem Mädchen. Ein Symbol offenbar für die Gefahren, die der Kleinen vermeintlich allenthalben lauern.

Das beklemmende Bild stammt von einer Webseite, die für einen umstrittenen Internet-Service wirbt. Auch bei trackyourkid.de können besorgte Väter und Mütter vom heimischen PC aus oder per Handy jederzeit den Aufenthaltsort ihrer Kinder abfragen. Über das Portal melden sie die SIM-Karte des Kinderhandys an und schalten damit die Beschattungs-Funktion frei.

Wollen sie wissen, wo sich ihr Nachwuchs gerade herumtreibt, schicken sie dann einfach eine Anfrage per SMS oder Internet-Formular an den Service-Anbieter. Binnen einer Minute spukt der den Aufenthaltsort des Kindes aus: eine Adresse, zusätzlich eine geografische Zone und eine Standortmarkierung auf einer virtuellen Landkarte.

Eingebaute Abhörfunktion

"Track Your Kid" ("spüre dein Kind auf") ist nur einer von einer wachsenden Zahl an Observations-Services für Eltern, die ihre Kinder nicht aus den Augen lassen können. Mittels den GPS- oder Funk-Peilungen lassen sich die Sprösslinge Tag und Nacht teils metergenau lokalisieren. Manche Dienste bieten zusätzlich an, virtuelle Sicherheitszonen zu errichten: Eltern können dabei sogenannte Geozäune um erlaubte Bereiche errichten. Übertritt der kindliche Herumtreiber die unsichtbaren Grenzen, löst der elektronische Aufpasser automatisch ein Alarm auf dem Mobiltelefon der Eltern aus.

Auch spezielle Peilhandys für Kinder sind auf dem Markt, die Geräte sind mit zusätzlichen Sicherheits-Funktionen ausgestattet, einem SOS-Knopf beispielsweise. Drückt das Kind den Auslöser, wählen die Apparate nacheinander drei hinterlegte Nummern an, die der Eltern und Großeltern etwa oder sie verbinden den Sprössling gleich mit einer Notfallzentrale. Besonders pikantes Feature des Kinderlokalisierungs-Handys "GPS Handy Pro" ist das "Fernhören": Mit der Funktion können misstrauische Eltern in die Umgebung des Kindes horchen. Das Kind bekommt von der Abhöraktion nichts mit.

"Mehr Sicherheit für ihr Kind" – so werben die Anbieter für ihre Produkte. Kinderschützer nennen solche Versprechen Augenwischerei und kritisieren die neue Schnüffel-Technologie scharf. "Die Überwachungsgeräte erzeugen eine Atmosphäre der Angst", sagt Paula Honkanen-Schoberth, Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB). "Es wird ein Bild gezeichnet, nach dem überall Gefahren für Kinder lauern. Das ist aber nicht der Fall." Insbesondere vor sexuellem Missbrauch können die Apparate nicht schützen, so die DKSB-Chefin. Die Übergriffe fänden überwiegend im näheren Umfeld der Kinder statt. Und Täter von außerhalb könnten die Peilfunktionen leicht deaktivieren. "Die Anbieter wiegen die Eltern in einer falschen Sicherheit."

"Kinder müssen sich lösen können"

Auch für die seelische Entwicklung kann die Spionage-Technologie problematisch sein, kritisieren Psychologen. Edna Baumblatt-Hermanns, Kindertherapeutin in Berlin, sagt, Kinder müssten sich von ihren Eltern loslösen können. Dazu gehöre bisweilen auch, Dinge zu tun, von denen die Erwachsenen nichts wissen.

Auf die Entwicklung des Selbstbewusstseins können sich Dauerkontrolle und Misstrauen ebenfalls negativ auswirken, glaubt Kinderschützerin Honkanen-Schobert. Ein Effekt, der mitunter fatale Folgen haben kann: Kinder, die wenig Selbstvertrauen besitzen, würden leichter Opfer von körperlicher Gewalt und sexuellen Übergriffen als selbstbewusste Altersgenossen, sagt Honkanen-Schoberth.

Vom juristischen Standpunkt bewegen sich Eltern mit dem Einsatz der elektronischen Spitzel in einer Grauzone. Konkrete Regelungen gibt es nicht; im Zweifel stehen sich das Recht der Kinder auf informationelle Selbstbestimmung und das Elternrecht gegenüber, sagen Experten.

Aufklärung statt Überwachung gefordert

Für Kinderschützerin Honkanen-Schoberth gehören die Geräte in jedem Fall "in die Verbannung". Sie rät, mit Kindern altersgerecht, aber offen über Gefahren zu reden, statt sie dauernd zu kontrollieren. Neben einem starken Selbstbewusstsein sei der beste Schutz gegen Übergriffe, Kindern beizubringen, dass sie "Nein" sagen und sich wehren dürfen, wenn sie belästigt werden. Väter und Mütter sollten ihren Kindern zudem erlauben, sich an andere Bezugspersonen zu wenden, falls sie mit den Eltern über die Annäherungsversuche nicht sprechen können. "Überwachung aber", so Honkanen-Schoberth, "ist in jedem Fall der falsche Weg."


Tobias Kurfer ist freier Journalist in Berlin.